Die Ahnen - Gustav Freytag
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Lautlos starrte die Königin nach der verborgenen Tür, plötzlich stieß sie einen heiseren Schrei aus, denn der König trat hervor und rief: »Eingehegt bist du selbst zur letzten Wunde.« Mit gehobenem Schwert fuhr der König gegen Ingo, aber wie eine Löwin sprang Frau Gisela dem Herrn entgegen und wand ihm den Arm, daß das Schwert klirrend zu Boden fiel. Ingo ergriff die Waffe vom Boden und rief, sie schwingend: »Ich halte deinen Tod in der Hand, König Bisino, wenig wird dir deine Rüstung frommen, wenn ich die Tat üben wollte, die du mir zugedacht. Danke dem Gotte, dem du vertraust, daß der Gastschwur mir heiliger ist als dir.« Und er warf die Waffe dem König vor die Füße. Ein leiser Ton wie das Stöhnen eines Weibes zitterte durch den Raum.
Der König sah wild um sich: »Du sprichst als ein Mann: wohlan, hebe dein Schwert von der Treppe, wir fechten.«
»Ich habe dir Friede geschworen«, antwortete Ingo unbeweglich.
»Und ich dir,« versetzte der König, »gebrochen ist der Eid, du bist frei, hebe die Waffe.«
»Gegen dich kämpfe ich nicht um mein Leben,« versetzte Ingo, »ehrwürdig ist mir dein Königshaupt, wenn du mir auch zuweilen Übles gedacht hast. Und nimmer will ich helfen, daß der Ruf deines Gemahls entehrt werde durch dein oder mein Blut, das vor ihrem Lager vergossen wird. Muß ich vertilgt werden, dann klage ich nicht, wenn du selbst es tust, dann stoß zu, König, und sei bedankt für das Gastgeschenk.«
Der König beugte sich, das Schwert zu erheben, da klang von unten Geschrei und Kriegsruf, Ingo schnellte empor. »Fluch mir, vergessen habe ich in der eigenen Not die Notgenossen. Den Sang meiner Schwäne höre ich, ich komme. Du wahre dich, König, ich finde, was dich zwingt.« Mit Sturmeseile brach er aus der Tür, der König raunte heiser: »Erbarmen kennen die nicht, die unten seiner harren«, und er eilte ihm mit geschwungenem Schwerte nach.
Aber Ingo sprang nur wenige Stufen hinab, wo sein Schwert lehnte und unter dem Gemach der Königin der junge Sohn neben dem Helden Valda schlief. Er raffte den Knaben vom Lager, drückte ihn an sich und flüsterte ihm zu: »Hilf mir, Hermin, mir droht das Verderben. Ich tue dir kein Leid, wenn nicht von dem König meinen Genossen ein Übles geschieht.« Der Knabe hing schlaftrunken in seinem Arm und faßte ihn um den Hals. »Gern helfe ich dir, Vetter«, sagte er ahnungslos. Bevor der alte Krieger sich vom Lager erhob, trug Ingo den Knaben hinauf an die Tür der Königin, wo der König mit dem Schwerte ihm entgegensprang. Aber Bisino fuhr entsetzt zurück, als er sein Kind unter dem Messer Ingos erblickte. »Geh voran, König Bisino,« rief Ingo befehlend, »bereite mir den Weg, ich halte, was dich zwingt. Das Leben deines Knaben sei Bürge für die Häupter der Meinen. Lebe wohl, Frau Gisela, flehe zu den Göttern, daß das Haus des Königs nicht zerbreche in dieser Nacht.«
Die Männer eilten die Steintreppe hinab, Frau Gisela lauschte starr nach dem Getöse und Fall am Fuß der Treppe. Ob sie wünschen sollte, daß er entrann, der den Sohn ihr gepfändet? Ob er selbst zurückkehren würde in ihr Turmgemach, oder der König oder keiner von beiden, das stürmte ihr durch die Seele; sie fühlte Haß gegen ihn, der ihre Hilfe sich nicht begehrt, und doch auch heiße Angst um sein Leben, und Angst vor der Wiederkehr des Königs. Sie sprang an das Fenster und sah hinaus in die Nacht. Sie hörte fernes Gemurr und helles Geschrei, dann wurde es still, sie sah einen Feuerschein blinken, aber auch er verlosch, die Nacht blieb schwarz und unsicher, wie ihr eigenes Schicksal. – Auf den letzten Stufen vor der Turmtür hielt Ingo an: »Verjage die Hunde, König, daß ihr Biß nicht deinen Sohn treffe.« Der König trat ungern vor, aber er verscheuchte seine Wächter. Ingo sprang an ihm vorüber wie ein flüchtiger Hirsch zu der Herberge seiner Mannen. Nicht vermochte der König ihm zu folgen, so sehr er sich eilte.
Um die Herberge standen die Haufen der Königsknaben, gerüstet mit Schild und Speer, manche auch mit Fackeln in der Hand. Auf dem Erdboden vor den Stufen loderte eine rote Flamme und warf ein unsicheres Licht in den dunkeln Saal und auf die wilden Gesichter der Vandalen. »Was blinzen die Käuze beim Lichtschein und wenden abwärts den Blick?« rief Berthar von der Treppe, »mich wundert‘s, daß die Knaben des Königs vor niederträchtigem Werke sich scheuen, sie sind ja, wie ich höre, gewöhnt, bei Nacht zu töten. Für ganz schamlos gelten sie im Volke. Hat sie erschreckt, daß mein Schwert ihrem Fackelträger den Brand zerschlug? Tretet näher, ihr bösen Verzagten, damit ihr vor allem Volke verflucht werdet als Friedensbrecher. Heran, auf daß meine Knaben euch die letzte Fahrt rüsten.«
»Grobe Worte sind die Münze des heimatlosen Bettlers,« rief Hadubald entgegen, »gut verstehst du sie zu zahlen, wenn du an fremden Bänken lungernd durch die Welt fährst. Ganz unnütz seid ihr auf der Männererde und schwerlich beschwert ihr fortan noch fremde Höfe durch euer Geschrei.«
So bereiteten sich die Helden durch heftige Rede zum Kampf; da sprang durch den lärmenden Haufen Ingo, den Königssohn im Arme. Er fuhr auf die Stufen und stand unter seinen Getreuen. Ein lauter Heilruf der Vandalen tönte um die Halle; Ingo aber rief befehlend gegen die Knaben des Königs: »Weicht zurück, tapfere Helden der Thüringe, der junge König, den ich halte, gebietet euch Frieden. Wollt ihr, daß sein Haupt unversehrt bleibe, so vermeidet, meine Mannen zu kränken. Heil sei dem König in der Herberge,« setzte er hinzu, da Bisino herankam, »und Frieden bedeute sein Nahen. Betritt, o König, huldvoll das Schlafgemach deiner Gäste, denn nicht durch Waffen, meine ich, enden wir heut die Verstörung. Hilf mir den König geleiten, Hermin, mein Vetter!« Er ließ den Knaben zur Erde und trat, das Messer über ihn haltend, dem König entgegen, das Kind ergriff die Hand des Vaters und stand zwischen beiden Helden. »Entzündet die Fackeln an der Flamme«, rief Ingo den Seinen zu. »Jedermann weiche aus dem Raume, ihr Vandalenhelden bewacht auf den Stufen die Beratung der Könige!«
Mürrisch winkte Bisino seinem Gesinde, den Zugang zu räumen, dann gebot er Hadubald mit einer gleichen Zahl von Königsmannen die Stufen zu besetzen. Auf die erhöhte Bühne der Halle, wo Ingos Lager stand, geleitete dieser den Herrn, er selbst saß ihm gegenüber und schlang seinen Arm um den jungen König. Bisino setzte sich zögernd und sah finster vor sich hin. »Du meinst, mich durch das Haupt meines Sohnes zu zwingen, daß ich dich und deine Landstreicher verschone. Aber wild hat der Zorn sich erhoben zwischen mir und dir, und dauerlos wäre, so fürchte ich, die Versöhnung. Entziehst du dich heut meinem Zorn, so trifft er dich doch morgen oder zu anderer Zeit, denn selbst wenn die Bitte dieses Knaben dir meinen Zwinger öffnet, so weißt du doch, daß meine Macht weit reicht, und daß des Königs Wille dich umstellt wie ein gehetztes Wild.«
»Wohl ehre ich deine Macht, König,« versetzte Ingo, »und ich weiß, daß es mir mühselig wäre, über die Brücke zu reiten und über die Heide zu traben, wenn dein Zorn feindlich hinter mir fährt. Dennoch meine ich, daß der König edel handelt, wenn er mir die Treue hält, soweit die Eide reichen. Den Zweikampf hat mir der König angetragen; ruhmvoll war das Erbieten und eines Helden würdig, und vermag er mich nicht zu dulden auf der Männererde, so weiß ich wohl, daß es für mich keine bessere Ehre gibt im Gedächtnis der Menschen, als durch die Waffe des Königs zu fallen, oder wenn ich ihn selbst voraufsenden sollte in die Totenhalle, mit meinen Gefährten vertilgt zu werden durch den Grimm der Thüringe. Dennoch ist es mir unleidlich, gegen dich zu kämpfen, mein Herr und Wirt, denn freundlich warst du gegen mich, Guttat genoß ich an deinem Hofe, ehrenwert ist mir auch dein Gemahl und hier der Knabe, den ich im Arm halte, und Frohes habe ich von deiner Huld für mein Leben gehofft. So kränkt mich‘s, obgleich ich den Schwertgrimm für rühmlich halte, daß ich um meinen Leib feindlich gegen dich ringen soll.«
»Verständig sind deine Worte,« versetzte der König, »auch dein Sinn ist redlich, wie ich vermute, und ungern sinne ich auf dein Verderben, aber mich zwingt die Königsnot, die keiner versteht, außer wer als Wirt über seinem Volke waltet. So wisse denn, friedloser Mann, der Cäsar fordert, daß ich dich ausliefere an seine Boten.«
»Will der große Volkskönig dem Befehl eines neidvollen Römers gehorchen wie ein Besiegter?«
»Die Katten hat er aufgehetzt, sie sind eilig, sich Sklaven und Herden zu holen aus meinem Volke, um deinetwillen sollen die Thüringe den Schlachtgesang singen.«
»Stelle mich in deine Heere, o König,« unterbrach ihn Ingo, »nimmer kehre ich zurück, wenn nicht als Sieger.«
»Meinst du, daß du mir als Sieger willkommener wärest als jetzt, du mit der Erbtochter?« fragte der König finster. »Über die Schlachten der Thüringe waltet der König allein!«
Da legte Ingo die Hände auf das Haupt des Knaben und sprach traurig: »Gleich diesem Kinde wuchs ich fröhlich auf unter der Königskrone, schuldlos wie dein Sohn war ich, da ich aus der Heimat gescheucht wurde. Denke daran, König, daß sich schnell die Geschicke der Männer wandeln, auch du weißt nicht, welches Schicksal deinem Knaben einst bereitet ist. Wie auch die Götter uns die Lose werfen, von uns fordern sie, daß wir treu sind unserem Wort. Sorge auch du, o Herr, damit sie nicht den Eid, den du dem armen Ingo geschworen, einst an dem Haupte deines Sohnes rächen.«
»An den Sohn denke ich, daß ich ihm die Herrschaft sichere, wenn ich mich des Eides gegen dich entledige«, versetzte der König.
»So löse den gastlichen Eid, ohne daß die Götter dir zürnen,« fuhr Ingo flehend fort, »entlaß mich mit meinem Gesinde ungekränkt aus deiner Burg und aus deinem Lande. Mehr fordert dein Volk nicht, und begehrt der Römer Ärgeres von dir, so kränkt er deine Ehre. Hilf mir, Knabe, und bitte bei deinem Vater für mich.«
Hermin kniete nieder und umschlang das Knie des Königs: »Tu dem Vetter kein Leid, mein Vater!«
Der König sah lange auf den Knaben, über welchen Ingo die bewehrte Hand hielt. »Du weißt nicht, was du bittest, Kind«, sagte er endlich. Und mitleidiger zu Ingo aufsehend fuhr er fort: »Willst du, Ingo, mir mit hohem Eide geloben, niemals diese Nacht zu rächen, niemals schädlich zu sein mir und meinem Sohne, und niemals Freundschaft zu suchen im Herrensitz am Walde, so will ich dich entlassen aus meiner Burg, aus meinem Land.«
»Den Eid nehme ich auf mein Leben,« sprach Ingo leise, »wenn auch der König mir geloben will bei dem Haupt dieses Knaben, der Worte zu gedenken, die er vor kurzem zu mir sprach und das Königsauge zu schließen gegen mein Tun, wenn nicht das Volksgeschrei übermächtig zwingt.«
Der König lächelte finster. »Ich will, wenn du mir etwas von deinen Gedanken vertraust.« Ingo neigte beistimmend das Haupt. »Wohlan denn, setze dich zu mir wie einst und künde leise dein Geheimnis.« Die Könige sprachen heimlich, und der Knabe saß zwischen ihnen und umfaßte mit den Händen beider Knie.
Auf den Stufen lagen getrennt die Vandalen und die Königsknaben hinter ihren Schilden. Über ihnen saßen auf den Schemeln die beiden Schwerthalter Berthar und Hadubald gegeneinander. Da begann Hadubald: »Frieden bereitet, wie ich merke, das Gespräch im Saale unseren Schwurherren. Gefällt dir‘s, Held, so tilgen wir den Groll durch einen Trunk, den einer meiner Genossen schnell zu schaffen weiß, denn kühl weht die Nachtluft.«
»Mordbrenner!« versetzte Berthar grimmig.
»Töricht handelst du, den Diener zu schelten, der getan hat, was seinem Herrn nützt.«
»Nachtschächer!« brummte Berthar wieder, »deine Treue brachst du für des Königs Bier, seitdem ist der Trunk verdorben, den du bietest.«
»Wer hochmütig verschmäht, beim Zapfen Bescheid zu tun, der wahre sich, daß nicht sein Blut gezapft wird auf grüner Heide.«
»Auf grüner Heide und im finsteren Wald, wie hier in der Herberge bist du blutiger Schläge sicher, sobald dich nicht der Königsfrieden schützt; damit begnüge dich, Held!«
Lange währte die Zwiesprache der Herren, endlich rief der König: »Bringe den Becher, Schenk, Minne zu trinken, bevor Held Ingo scheidet.« Willig regten sich die Mannen auf den Stufen, der Schenk lief und trug einen großen Becher Met herzu, die Könige taten über dem Becher und auf dem Haupt des Knaben einander das Gelöbnis. »Und jetzt scheiden wir, Ingo,« sagte der König, »leid tut mir‘s, daß du ein fahrender Held und nicht von meinem Geschlecht bist, und doch, wärst du von meinem Stamme, du wärst mir vielleicht weniger vertraulich.«
»Denke mein im Guten, o Herr«, dankte Ingo, und fröhlich rief er dem Alten zu: »Rüste den Aufbruch, wir reiten.«
»Bei Sonnenlicht kamen wir,« versetzte Berthar, »mein Herr und seine Helden entweichen nicht wie Nachtdiebe. Will der Häuptling, daß wir aufbrechen, bevor der Hahn singt, so flehe ich, König Bisino, daß deine Knaben uns mit den Fackeln leuchten, die sie am Abend sorglich um dieses Haus getragen haben, damit wir bei unserer Abfahrt den hellen Schein nicht missen.«
Der König sah zuerst zornig auf den Kühnen, aber er sprach: »Ich lobe dich, du verstehst für deinen Herrn mit Schlägen und mit Worten zu streiten. Besteigt die Rosse, ihr stolzen Gäste, ihr Mannen aber entzündet die Brände, denn der König selbst gibt das Geleit zum Tor.«
Auf der Brücke schied Ingo von dem König und seinem Sohn, und alle erstaunten, als der König nach dem Abschied noch einmal über die Bretter zu Ingo eilte, ihn mit den Armen umfing und küßte. Lachend sah Berthar auf die finsteren Mienen der leuchtenden Königsknaben. »Reitet im Schritt,« gebot er vor dem Tor den Vandalen, »damit sie nicht wähnen, daß wir ihren Gruß im Rücken fürchten.« Und nach einer Weile rief er: »Nimm die Spitze, Wolf, und laß die Rosse springen, frisch bläst die Nachtluft, und wohl gelang uns die Reise nach der Königsburg.«
Als sich das Tor hinter den Gästen geschlossen hatte, befahl der König seinen Knaben: »Wer etwa morgen oder später von dieser Nacht schwatzt, oder wer noch mit dem Römer beim Trunke raunt, wie heut mancher getan, dem zerschellt die Axt des Königs das Tor seiner Worte.«
Darauf nahm er das schlafende Kind in die Arme und trug es zu seiner eigenen Kammer. Als er beim Turme vorüberkam, blickte er finster nach dem Gemach der Königin. Dort drinnen lag ein trostloses Weib mit dem Haupt an der Fenstermauer und hörte auf den Schall der Stimmen und auf den Hufschlag, welcher in der Ferne verklang. Der König aber dachte: Wenn sie nicht so erlaucht wäre von Geschlecht, wäre es besser für mich und sie. Denn gern möchte ich ihr Schläge geben und sie dann wieder liebhaben. Sie aber wollte das Tuch zerschneiden zwischen sich und mir, und sie hat gerungen gegen mein Schwert; ob sie meint, daß ich ihr das vergesse? – Was aber den Römer betrifft, so ist mir‘s im Herzen lieb, daß ihm nicht sein Wille geschieht, denn nichtswürdig war die Forderung, und herrisch war der Bote. Jetzt will auch ich ihm Silber statt dem Gold bieten, das er sich begehrt. Und am anderen Morgen lud der König den erstaunten Harietto und sprach: »Um des großen Cäsars willen habe ich alles getan und ausgeführt, was die Königsehre mir gestattet und nicht mehr. Dem Gebannten habe ich das Gastrecht aufgekündigt und ihn ohne Geleit entlassen, damit er aus meinem Lande weiche. Und er trabt jetzt wohl schon weit von hier über die Heide.« Als der König wieder in sein Schatzhaus ging und sein Angesicht in der Schüssel betrachtete, da sprach er seufzend zu sich selbst: »Eine Sorge wich, aber eine größere kam; nur eines ist mir lieb, es ist ein ehrliches Gesicht, das ich schaue.«