Die Ahnen - Gustav Freytag
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Winfried hörte finster den Klagegesang des zuchtlosen Mönches. »Gib deinem Bruder nicht weniger gern die Nachtrast, als deinen Gespielen im Federkleid.«
»Fruchtlos war die Arbeit an den Herzen der Menschen,« fuhr Memmo traurig fort, »eher noch behielten die Vögel das heilige Wort. Jedes Jahr fing ich junge Raben und Elstern, lehrte sie das Kyrie eleison und ließ sie wieder fliegen. Im lichten Gehölz hier kannst du zuweilen ihre Stimme hören, wenn sie die heiligen Worte singen. Auch an dem Ingram meinte ich manche Unbill zu rächen, die er mir zugefügt, und ich setzte ihm meine jungen Raben auf seine Bäume, damit sie unter den Heidenvögeln den Herrn anrufen sollten, aber die andern Raben fuhren grimmig gegen sie und rauften ihnen die Federn, weil den wilden unser Gesang widerwärtig war. Und sie kamen zu mir zurück. Aber auch diese, die ich gezähmt hatte, ließen ihre Tücke nicht, sie fraßen mir meine kleinen Gesellen, und seit dem letzten harten Winter sind die Kleinen allein bei mir geblieben. Verzeihe mir, ehrwürdiger Vater.«
»Ich zürne dir nicht, mein Bruder,« versetzte Winfried, »da ich dich aussandte, wußte ich, daß du kein Säemann warst für steiniges Land, aber von freundlichem Herzen, und daß dich die Heiden hier, weil du wohlmeinend bist, vielleicht dulden würden. Wie ein Kundschafter, der in das gelobte Land gegangen ist, warst du mir. Jetzt bin ich selbst gekommen, dies Volk meinem Herrn zu unterwerfen.«
Durch das geöffnete Tor führte Gottfried ein bepacktes Pferd in den Hof, er band das Tier an den Pfosten, hob den Ledersack ab und trug ihn in die Hütte. Ein warmer Strahl von Liebe und Sorge fiel aus den Augen Winfrieds auf ihn. »Was sagte der Führer, der so unfreundlich von uns schied?«
»Kaum drang ich zu ihm,« klang die weiche Stimme des Mönches zurück, »die Knechte wiesen mich rauh fort, endlich bewegte meine Bitte doch einem das Herz, er führte mich an das Gehege, wo der Mann seine Rosse koppelte, gleich einem, der sie wegschaffen will. Ich sprach ihm deine Botschaft, er aber war ungeduldig zu hören: ›Nimmer hätte ich deinen Herrn geleitet, wäre ich seines Amtes kundig gewesen. Lohn für das Geleit begehre ich nicht, weder einen Armring noch Frankensilber; auch seine Dankbarkeit erfreut mich nicht, und guten Willen hat er von mir gar nicht zu erwarten, wenn er ihn in Zukunft fordern sollte.‹ So sprach er und stand vor mir wie Turnus, der finstere Held, von dem der Römer Virgilius meldet, daß er sich gegen den König Äneas erhebt.«
»Dein König Äneas, mein Sohn,« versetzte Winfried lächelnd, »hat gegen den Wilden keine anderen Waffen, als die redliche Meinung, ihm und anderen zu nützen. Du aber bete, daß uns das gelinge.« Winfried trat zum Tisch, löste die Riemen des Leders, nahm eine Holzkapsel heraus und übergab den Sack feierlich dem Priester. »Hüte ihn wie das Licht deiner Augen, Meginhard, er birgt heilige Gebeine, dazu Gewänder und Gefäße für die Kirche, welche wir hier bauen werden.« Während Memmo mit großen Augen auf den Bischof und wieder auf den Behälter der Kostbarkeiten sah, gab Winfried dem Jüngling einen Wink und verließ mit ihm die Hütte.
Mit starken Schritten eilte der Bischof dem Hügel zu, welcher sich vor dem Walde erhob, gefolgt von Gottfried, welcher das Roß führte. Auf der Höhe hielt Winfried an: »Schneller als ich meinte,« begann er mit bewegter Stimme, »ist die Stunde gekommen, wo ich dich auf rauhem Pfad zu den Heiden entsenden muß, du Kind meiner Schwester. Das Liebste will ich den Gefahren der Wildnis preisgeben, der Herr möge mir verzeihen, daß ich um den Boten in seinem Dienst ängstlich zage.«
»Vertraue mir, mein Vater«, bat Gottfried.
»Dem Sorben Ratiz sollst du Antwort sagen auf seine Frage an mich, du kennst die Frage und du kennst die Antwort.«
»Ich kenne sie, Vater.«
»Dem Heiden Ingram sollst du helfen, die Gefangenen zu lösen. Denn dich an diese Botschaft zu wagen, habe ich dem Himmelsherrn gelobt, als ich am Grabe des Franken kniete; aber jähzornig und unhold ist der Mann, den ich dir als Genossen werben will.« Winfried schritt wieder mit starken Schritten vorwärts, und hielt aufs neue: »Ich war ein Jüngling wie du, da trat ich einst in Angelland, unserer Heimat, an einen verfallenen Steinbau, den dort vor Jahrhunderten das Römervolk errichtet hatte. Denn in alter Zeit, bevor die Botschaft des Herrn zu den Landgenossen kam, waren die Völker gebändigt durch das große Reich der Römer, und fast überall hatten diese sich feste Burgen geschanzt. Damals sah ich, wie Krieger meines Stammes in den Steinen einen Haufen Weiber und Kinder zusammentrieben, die sie aus den Nachbardörfern geraubt hatten. Ich hörte die Peitschenschläge und das Gewimmer, und ich sah die Schwertstreiche, womit die Waffenlosen geschlachtet wurden; ich aber lag eine Höllennacht auf dem Römersteine.
»Denn die Mörder und die Gemordeten, beide rühmten sich Christen zu sein. Und ich erkannte mit Entsetzen, daß auch die Gotteslehre auf Erden ihre heilbringende Kraft verlor. Überall haderten die Bischöfe gegeneinander, einer schalt den anderen Irrlehrer, schlug ihn in das Angesicht oder zückte das Messer gegen ihn, aber kaum einer tat nach dem Gebot des Herrn; und wie die Hirten, so waren auch die Herden völlig verdorben, jede Sünde und Unzucht sah ich in geiler Blüte, die Heiden oft redlicher als die Christen. Ich meinte, daß ich wahnwitzig werden könnte über solche Erdennot, und ich flehte zu dem Himmelsherrn, dem ich mich gelobt hatte, um Rettung für die Menschheit aus unserem Elend. Da kam in mich die Botschaft des Heils, wie eine Feuerflamme fuhr sie mir durch die Glieder, daß ich in Schreck und Seligkeit hoch aufsprang. Denn mir wurde offenbart, was dem Menschenvolk Rettung bringt, eine neue Zucht für die Zuchtlosen und neue Vereinigung für die Verfeindeten. Geschwunden ist die Herrschaft der Römer, aber zu Rom wohnt jetzt der fromme Nachfolger der Apostel. Er soll werden zu einem oberen Richter aller Herzen und Gewissen, und soll auf der Erde walten als der große Häuptling des Himmelskönigs. Wir aber sollen ihm alle ebenso im Glauben dienen, wie den Königen und Häuptlingen in weltlichen Werken. Und mein ist das Amt, die Völker der Erde zu seinem Dienst zu führen, Friesen, Sachsen, Hessen, Thüringe, und wenn mir der Herr gnädig ist, auch die wilden Horden, welche sich Wenden nennen. Den Frieden meines Gottes will ich allen bringen. Damit der Glaube für die Völker der Erde heilkräftig werde, will ich sie lehren, daß ein einiger Gott über ihnen waltet, ein großer Wirt in der Himmelsburg, und hier auf Erden als sein Vogt der Bischof zu Rom, ehrwürdig und gewaltig über alle. Einheit der Lehre soll auf Erden sein, und Einheit im Gehorsam, damit auch Einheit in der Liebe werde. Darum habe ich gepredigt unter den Friesen und Hessen, darum bin ich selbst nach Rom gezogen und habe mich auf meinen Knien dem Papst in seine Hände gelobt als Mann meines Gottes, und darum wandere ich jetzt hier durch das Unkraut der wilden Täler allein mit dir, Knabe, denn austilgen will ich den Jammer der Welt und Heil allen verkünden, die jetzt im Elend sind. Solches hat mir unser Herr in jener Angstnacht geboten.«
Der Jüngling küßte ihm ehrfurchtsvoll die Hand. Winfried hielt sie fest und sprach ruhiger: »Du mein Liebling, der du die Jahre eines Knaben hast und den Sinn eines Weisen, du bist mir treu und wenig Gedanken gibt es, die ich dir verberge. Nicht die Heiden sind es, die mir die größte Not bereiten, größer ist die Arbeit, die ich habe, wo ich Hilfe erwarten könnte. Die Franken, welche sich Christen nennen, ihre Bischöfe, die zuchtlosen Frevler, von denen jeder mit allen anderen streitet, die sind, dünkt mich, die schlimmeren Wölfe. Ein würdiger Mann ist der Bischof zu Rom. Aber auch er sah mich zuerst an wie einen Unsinnigen, als ich vor ihn trat und ihm bekannte, daß er der höchste Herr werden müsse über den Glauben der Männererde, um uns alle zu retten. Viel Eigennutz gibt es dort und Gier nach weltlicher Herrschaft; aber der Herr, dem ich mich gelobt habe, wird mir helfen, daß ich den Unverstand der Großen überwinde wie den Trotz dieser langhaarigen Wilden. Darum folge auch du mir zu dem Heiden, mein Sohn, öffne die Ohren und vernimm auf dem Wege, was dir noch zu wissen not tut.«
Als sie die Höhe erreichten, auf welcher der Rabenhof lag, stob ihnen eine Koppel wilder Rosse entgegen, auf dem einen saß Ingram, auf einem anderen sein Diener. Winfried trat in den Weg, daß das Roß Ingrams bäumte, und der erhitzte Reiter, als er es kraftvoll bändigte, dicht vor dem Bischof hielt. »Was kommst du selbst mich aufzuhalten?« rief Ingram zornig, »unselig war die Stunde, wo ich dir Dienst gelobte.«
»Wer auf eine Reise ausfährt, wie die deine,« antwortete Winfried, »der handelt nicht weise, mit einer Verwünschung die Fahrt zu beginnen.«
»Deinen Segen begehre ich nicht, Christ, besseren Schutz weiß ich mir zu gewinnen, als dein Zeichen gibt.«
»Und doch vertrauen manche im Sorbendorfe, denen der Weidenring die Hände zusammenschnürt, auf das heilige Zeichen, welches du töricht mißachtest. Schmähst du den Himmelsgott, zu dem die Christen flehen, vor deiner Reise, so wahre dich, daß deine Fahrt nicht fruchtlos sei.«
Der Reiter wollte sein Roß antreiben, jetzt hielt er still und sah finster vor sich hin. »Bändige dein heißes Blut,« fuhr Winfried mit Würde fort, »bedächtiger Rat dient vor schneller Tat. Bin ich dir auch unwillkommen, so verachte doch nicht meine Worte; steige ab, Ingram, wenn du in Wahrheit das Weib lösen willst.«
So nachdrücklich war die Mahnung, daß der Thüring sich vom Pferde schwang und seinem Knechte die Zügel zuwarf.
»Mache kurz, was du mir zu sagen hast, Fremder, denn der Boden brennt mir unter den Füßen.« Winfried führte den Ungeduldigen einige Schritt abseits. »Beantworte mir eine Frage, wenn du willst, die ich wohlmeinend tue und in großer Sorge um die Gefangenen. Führst du mit dir, was dir von dem Ratiz zur Lösung dienen kann? Oder hoffst du, daß es dir gelingen wird, die Weiber und Kinder aus dem Sorbenlager zu rauben?«
Mit zuckendem Antlitz antwortete Ingram: »Wer dem Lager des Räubers naht, greift das Geraubte, wie er kann. Vermag ich unerkannt einzudringen, so suche ich sie heimlich zu entführen.«
»Du sagtest mir, ihr Thüringe habt den Sorben Frieden gelobt.«
»Nicht ich, auf dem Lager lag ich mit blutigem Leibe.«
»Aber die Alten haben ihn gelobt, auch für dich.«
»Gebrochen ist der Eid durch jenen, als er meinen Gastfreund erschlug. Wer mag mich schelten, wenn ich den befreundeten Mann räche?«
»Dein Volk wird fragen, ob du von der Freundschaft des Toten bist, du aus dem Land der Thüringe, er ein Franke.«
Ingram schwieg.
»Und wenn die Grenzwächter der Sorben dich erspähen? Sicher sind sie des Grenzbrauches kundig und sorgen jetzt um eine Rachefahrt der Franken. Darum meine ich, auch dir ist nicht verborgen, daß du nur in Frieden die Gefangenen lösen kannst.«
»So magst du wissen,« versetzte Ingram finster, »was ich ungern bekenne, daß ich mir Lösegeld suchen will durch Verkauf der Rosse, die du hier siehst; einige darunter sind wohl wert den Sattel eines Königs zu tragen. Unsicher ist, ob der Ratiz selbst die Rosse nimmt, denn voll von Hufen ist, wie ich fürchte, das Lager der Diebe seit ihrem letzten Zuge. Deshalb will ich die Rosse jetzt an die Erfesfurt treiben, wo der große Markt meines Volkes ist, ob ich Armringe oder fränkisches Silber dafür einhandle. Doch mißlich ist ein Verkauf in der Not. Das ist die Sorge, die mich ängstigt.«
»Und gibt es anderen Kaufpreis, der dir den Willen des Slawen bezwingt?«
»Rotes Gold der Zwerge und Silber, das der Schmied künstlich geschlagen hat«, versetzte Ingram schnell. »Ihm kann der niedrige Mann nicht widerstehen. Aber solch Königsgut hat der Thüring nicht.«
Winfried zog die Kapsel hervor und drehte sie auf, einen großen Becher hob er heraus, von außen Silber, von innen Gold, mit einem Kranz von Weinlaub und erhöhten Menschenbildern daran, ein wundervolles Stück Arbeit. »Aus dem Schatz eines Königs stammt es und von einem königlichen Mann ist es in meine Hand gelegt. Meinst du, daß dies Stück uns die Kinder lösen wird?«
»Nie sah ich solch ein Werk von Menschenhand,« rief der Thüring mit leuchtenden Augen, »silbern sind die Kinder und nackt, sie wandeln um den Becher als ob sie lebten.« Und gehaltener setzte er hinzu, sich seiner Neugier schämend: »So großes Schatzstück löst viel.«
»Dann sei der Tag gesegnet,« rief Winfried, »wo ich den Becher empfing.«
Aber wieder fuhr ein dunkler Schatten über das Gesicht des jungen Kriegers, und das Gefäß stolz zurückgebend rief er: »Fahre hin mit deinem Becher, du schlauer Fremdling«, und wandte sich den Rossen zu.
Doch Winfried hielt seinen Arm. »Meine nicht, Ingram, daß ich deine Gunst erkaufen will durch Silber und Gold. Du hast dich ja selbst geweigert, Führerlohn zu empfangen. Wärest du von den Kindern des großen Gottes, dann dürfte ich dir das Schmiedewerk zu christlicher Tat schenken. Du aber hast deine wilde Begier mir verraten. Nicht als deine Sklavin darfst du das Frankenweib heimführen in dein Haus, ihr selbst und ihrem Geschlechte schenke ich den Becher, und rettet er sie aus der Gefangenschaft, so kehrt sie wieder als eine Freie, sie und andere, die du zu lösen vermagst. So ist meine Meinung. Dich aber bitte ich um der Gebundenen willen, daß du für sie alle den Handel vollendest und sie darauf herführst in den Schutz, den sie sich selbst begehren.«
»Dein soll die Ehre sein, und nicht mein«, rief Ingram heftig.
»Nicht du, nicht ich spenden den Kaufpreis, ich selbst besitze weniger als der ärmste deiner Landgenossen, ich bin nur ein Bote des Christengottes und seinem Schatz gehört dies Silber.«
Scheu sah der Krieger auf das blinkende Metall. »Birg es in seinem Holze, denn sehr fürchte ich, daß ein übler Zauber in solcher Gabe sei.«
»Auch rate ich nicht, daß du selbst diesen Kaufpreis trägst,« fuhr Winfried fort, »denn auch ich habe einen Boten zum Ratiz zu senden in Geschäften des Frankenkönigs, meinen jungen Bruder Gottfried. Du aber wirst der Sprecher sein um den Loskauf, und ich bitte dich, daß du dem Jüngling gestattest, mit dir zu reiten, und daß du selbst mir gelobst, treu um ihn zu sorgen.«
»Rauh ist der Weg zu dem Dorfe des Ratiz, schnell muß die Fahrt sein, und nicht gefahrlos ist rascher Botenlauf in den Bergen, wie mag ich den Knaben davor bewahren?«
»Du hast seine Kraft versucht, und du hast ihn nicht schwach gefunden.« Der Krieger sah auf Gottfried hinüber, der das Roß des Bischofs am Zügel hielt, und sein Antlitz wurde freundlicher. Er überlegte. »Ich erkenne,« sagte er endlich, »daß du wie ein Herr meinen Willen richten willst. Nicht weiß ich, ob es zu meinem Heil ist, wenn ich nach deinem Verlangen tue, und wäre es um meinetwillen, ich täte es nicht. Aber ein Weib sehe ich sitzen mit gerungenen Händen in der Sklaverei.« Er fuhr heftig auf und rief: »Ich gelobe den Knaben zu halten wie einen aus meiner Freundschaft«, und legte seine Hand in die des Bischofes, dann eilte er zu seiner Koppel, gab seinen Männern Befehle und ließ die ledigen Rosse nach dem Hofe zurückführen. Unterdes sprach Winfried leise zu dem Jüngling, faltete die Hände über dem Haupte, und tiefer Schmerz zuckte in seinem Gesicht, als er den Reisesegen über ihn sprach.
»Heran, Jüngling,« rief Ingram, seinen Wurfspeer schwingend, »viel Zeit ward verloren in dem Streit der Worte, laß den Hufschlag klingen zur Reise ins Slawenland.« Prüfend sah er noch einmal auf das Roß und den friedlichen Reiter, ihm gefiel, daß der Jüngling fest im Sattel saß, und er nickte ihm grüßend zu. Laut rief er sein Hara, und Rosse und Reiter stoben abwärts dem Waldweg zu. Winfried sah den Flüchtigen nach und hob die Hände zum Himmel.