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Die Ahnen - Gustav Freytag

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Der Sorbe fuhr mit der Hand nach der Schwertseite und griff heftig umher, als er die Waffe nicht fand; Ingram aber lachte laut über das vergebliche Suchen.

Wieder und wieder füllte der Alte. Dem Ratiz schwammen die Augen, und seine Hand wurde unsicher, wenn sie den Becher faßte. Er merkte die Gefahr und dachte schlau darauf, den Gegner zu verwirren. »Lustig sitzen wir hier im Gefecht der Zungen, lieblicher schlürft sich der Met, wenn wir mit unseren Augen auf das Weib schauen, welches der Preis des Siegers sein wird. Führt das Frankenweib her, daß wir uns am Anblick ergötzen.« Zwei seiner Genossen sprangen auf und eilten der Tür zu.

Ingram schlug auf den Tisch. »Unbillig störst du das Spiel, denn traurig ist es mir, die Tochter eines werten Mannes als Sklavin unter den Feinden zu schauen.«

»Lösen willst du sie doch, du starker Zecher, hast du Kraft, so erweise sie jetzt. Umbindet ihr nicht die Hände mit den Weiden, damit der Gast sie ohne Kränkung der Seele betrachte.«

Ingram sah finster vor sich nieder und schwer wurde ihm das Haupt; die Männer schritten hinaus und führten das Mädchen in die Halle der Schweigenden. Walburg blieb an der Tür stehen, und ihr Blick umwölkte sich, als sie auf Ingram sah, auf die Trinker und die gleichen Becher. »Tritt näher, Frankenkind,« begann Ratiz, »denn um dich geht der Streit, ohne Schwertkampf der Helden sollen die Götter entscheiden. Im Maserholz schwenken wir deine Lose, ob du heimziehst mit Held Ingram, oder ob ich dir eine Hütte baue und ein Lager darin breite für dich und mich, wie ich hoffe.«

Empört rief das Mädchen dem Thüring zu: »Einen besseren Helfer habe ich mir erkoren, schmachvoll wäre mir die Lösung durch den Trinkkrug. Denke nicht, Ingram, dir ein Weib durch Met zu gewinnen, übe den Heidenbrauch um Sorbenmädchen, nicht um mich.« Sie wandte ihm den Rücken, trat in die Ecke, in welcher Gottfried saß, kniete an seiner Seite nieder und verbarg das Gesicht mit den Händen. Heiße Röte stieg in das Gesicht Ingrams, da sich das Weib verachtend von ihm wandte, undeutlich merkte er das höhnende Lachen der Slawen, er erhob sich vom Stuhl und rief in ausbrechendem Zorn: »Falsch war das Spiel und verflucht sei der Becher, den ich noch trinke.« Er schleuderte den Becher auf den Boden und zugleich mit dem Holze sank er selbst in schwerem Fall. Wilder Jubelschrei der Sorben durchtönte die Halle, sein Helfer, welcher das Schwert gehalten, trat zu ihm und gebot: »Tragt ihn unter mein Dach, damit ich ihm meine Treue erweise und ihn bei seiner Waffe bewahre.«

Ratiz aber erhob sich siegreich in trunkenem Mut und schritt auf das Frankenmädchen zu. »Mein bist du, doppelt gewonnen ist die rundliche Wange, und mein sollst du bleiben, nicht denke ich mit der Vermählung zu säumen. Auf, führt sie zur Hütte und ladet den Sänger, daß er das Brautlied spiele.«

Dicht vor ihm erhob sich von den Knien die Jungfrau, bleich war ihr Gesicht und hart der Blick, den sie auf den Häuptling warf. »Niemand vermöchte dich zu retten vor meiner Hand,« rief sie, »du Untier, das kaum den Vater gefällt hat und jetzt Unehre über die Tochter bringen will. Danke deinem Glück, daß ein Heiliger neben mir steht. Du rühmst meine glatte Wange, sieh her, ob sie dir noch gefällt.« Blitzschnell fuhr sie mit dem Messer aus dem Gewande, hielt es ihm entgegen, daß er zurückfuhr, schnitt mit dem Stahl sich eine klaffende Wunde in die Wange, daß ihr Blut herunter strömte, und hob den Stahl wieder gegen sich selbst. Da sprang Gottfried herzu und entriß ihr die Waffe. Ratiz stieß einen schweren Fluch aus und packte den Metkrug, um ihn gegen das Weib zu werfen, aber auch er taumelte und stürzte zu Boden, übermannt vom Met und vom Zorn. Die Sorben sammelten sich um ihren Häuptling und Gottfried führte mit Hilfe des Weißbarts die wunde Jungfrau nach ihrer Hütte, dort suchte er das strömende Blut zu stillen und mit dem Sorbenweibe die klaffende Wunde zu binden.

In der Hütte des Miros saß spät am nächsten Morgen Ingram, das Haupt in der Hand, und seine Gedanken wirbelten wild durcheinander. Auf dem Schoß hielt er das Schwert, welches sein Gastfreund ihm in die Hände zurückgelegt hatte. Miros stand vor ihm und erzählte von dem letzten Ausgang des Gelages und von der Wunde des Weibes. »Sie hätte den Faden ihres Lebens durchschnitten, denn ihr Sinn war wild, als der fremde Bote ihr das Messer entwand. Unnütz war die Mühe, das Messer wäre ihr rühmlicher gewesen, als die Keule des Ratiz sein wird.«

Ingram zuckte und griff nach seinem Schwert. »Was würdest du tun, wenn dir ein gefangenes Weib mit dem Messer drohte?« fragte Miros. Ingram nickte bestätigend mit dem Kopf. »Wäre sie tot durch rühmliche Tat, die sie selbst an sich vollbracht, und wäre der Ratiz durch mein Schwert erlegt, dann wäre ich wieder frei und könnte lachen«, murmelte er. »Jetzt aber bedrängt mich der Zauber, den die unholden Christenmänner durch ihren Gesang und durch ihr Silber auf meinen Weg geworfen haben. Darum hat mir der Gott, der des Trinkhorns mächtig waltet, seine Hilfe versagt. Auch ihn höhnten die Riesen durch ihre Wunder und ruhmlose Kämpfe mußte er ausfechten. Mir ist das Leben verleidet und die Heimkehr begehre ich wenig.«

»Bleibe bei uns,« riet der Sorbe teilnehmend, »und gewöhne dich an unseren Brauch, dann baut dir Herr Ratiz eine Hütte, und wenn du das Weib mit der zerrissenen Wange noch begehrst, so ist möglich, daß er dir sie schenkt, damit sie deinen Mühlstein drehe.«

Ingram lachte: »Könntet ihr vergessen, daß ich eure Krieger erschlug? Würde doch mein Schwert aus der Scheide springen, wenn es neben einer Sorbenkeule hinge. Wie kann Friede dauern zwischen euch und mir? Nein, Miros, anders raten mir die Schicksalsfrauen. Und du meinst, daß er sie töten wird?«

»Wie kann er anders?«

»So sage ihm, daß ich ihn zum Kampf fordere auf der Heide zwischen eurer und unserer Mark auf den sechsten Tag von heut.«

»Sage selbst solche Botschaft, wenn du Lust hast aus dem Sonnenlicht zu scheiden, auch du stehst unter seiner Hand, und wenn er dich entläßt, so weiß er, daß ein Todfeind frei von ihm reitet. Denke vor allem an das eigene Heil!«

»Du sprichst verständig, friedlich will ich von euch gehen oder gar nicht. Die Götter mögen auch mir das Los werfen. Der Becherkunst ist dein Herr mächtig, wie ich sehe, laß ihn versuchen, ob er auch das Würfelspiel versteht, sein Schicksal gegen das meine. Geh, mein Wirt, und trage ihm eine Botschaft, die er annehmen mag oder nicht nach seinem Gefallen. Noch einmal messen wir uns in friedlichem Kampf, wie der Würfel fällt, den unsere Hände gleiten lassen, um alles oder nichts; er setzt in das Spiel das Weib und mein Roß, das er gestern gewonnen, und ich —«

»Und du?«

»Mich selbst, ob ich frei davon reite oder als sein Gefangener hier bleibe, bis gütliche Schatzung vereinbart wird, welche mich löst, nach Brauch der Grenze.« Der Sorbe trat zurück. Er öffnete sein Hemd und wies eine Narbe. »Du weißt, wer mir diesen Schlag gab, denke daran, Held; unrühmlich wäre mir zu sagen, daß ein Knecht die Wunde geschlagen hat.«

Ingram reichte ihm die Hand. »Geh doch, Fremdling, tief bin ich verstrickt und meine Stunde ist gekommen, wo ich die Hohen fragen will, ob sie retten oder verderben.«

Der Sorbe ging unzufrieden hinaus, Ingram legte das Haupt auf den Tisch. »Seit der Fremde den Mühlstein unter dem Baume heraufscharrte, ist das Glück von mir gewichen und der Segen, den die Ahnen mir hinterlassen, hat seine Kraft verloren. Eine hat sich zornig von mir gewendet, ich aber will prüfen, ob ich noch die Kraft habe, sie durch meine Beschwörung zu gewinnen, oder ich will ihr Los teilen.«

Draußen klang der Tritt bewaffneter Männer. Ratiz trat ein, begleitet von einem Teil seiner Krieger. Ihm lagen die Augen noch tief im Kopf und heiser war seine Stimme, als er sprach: »Du kamst als ein eifriger Spieler. Den ersten Kampf bot ich, den zweiten bietest du. Fürwahr, hoch achtest du dich selbst, lieber mag ich das Weib und das Roß als dich, und ungern tue ich deinen Willen. Aber meine Krieger fordern, daß ich dein Spiel nicht zurückweise. Dein Einsatz gilt, Roß und Weib für dich oder du für mich, ein Würfel und ein Wurf.«

»Weib und Roß, beide unversehrt zur Stelle für mich, oder mein Lösegeld für dich, so wie mich deine Krieger ehrlich schatzen«, versetzte Ingram.

»Wir werden dich ehren als Krieger, wenn wir dich schatzen«, bestätigte der Häuptling. »Beide wollen wir‘s geloben.« Die Männer faßten an ihre Schwerter und sprachen den Eid. »Hast du einen Mann,« fuhr Ratiz fort, »dessen Würfel du vertrauen kannst, wie ich ihm vertraue, so nenne den Namen.«

»Mein Wirt Miros«, antwortete Ingram.

Miros trat in eine Ecke der Hütte, holte den Würfel aus dem Kasten und stellte ihn auf den Tisch, einen Holzbecher dazu. »Ehrlich ist der Würfel und ehrlich sei das Spiel,« sagte Miros, »und jeder, der hier steht, gelobe dem Sieger treue Erfüllung.«

Die Männer schwuren, die Kämpfer traten beiseite und sprachen leise ihre Beschwörung. »Der das Spiel gefordert hat, tue den ersten Wurf«, gebot Miros. Er legte den Würfel in den Becher und bot ihn Ingram. Das Angesicht des Thürings war bleich und ebenso das des Ratiz, Stille war in der Hütte und alle starrten auf den Tisch. Ingram schüttelte und warf. »Fünf«, rief Miros. »Ein guter Wurf,« sprach Ratiz, er nahm den Becher, schüttelte und warf. »Sechs«, rief Miros. Ein gellender Siegesruf, der weit über das Tal zog, erscholl in der Hütte, alle traten von Ingram zurück. Er stand einen Augenblick mit geneigtem Haupte, dann löste er sein Schwert und warf es auf den Boden. Ratiz legte die Hand auf ihn: »Mein Knecht bist du, holt die Weide und bindet ihm die Hände.«

Vor der Hütte des Ratiz, in welcher Walburg lag, saß der Mönch. Vor ihm tummelten sich wilde Gesellen mit den Rossen, die sie aus den Ställen gezogen hatten, und ansehnliche Sorbenkrieger eilten einzeln oder in kleinen Haufen zu der Halle des Häuptlings. Aber gleichgültig sah der Mönch auf dies fremdartige Kriegertreiben; er hatte die Nacht vor der Hütte gewacht, zuweilen war er eingetreten und hatte die Slawenfrau geweckt, welche neben dem Lager der Verwundeten lag, daß sie die Wunde mit kaltem Wasser netze, oder er hatte der Fiebernden einen Trunk gereicht und leise an ihrem Haupt gebetet. Jetzt schauerte sein erschöpfter Leib in der warmen Morgensonne, aber seine Gedanken flogen unablässig zu dem Christenmädchen in der Hütte. Zum erstenmal in seinem Leben hatte er um ein Weib zu sorgen, er fühlte darüber eine wonnige Freude, lächelte vor sich hin und sah dann wieder ernsthaft und demütig nach der Höhe.

In der Nähe hörte er Eisengeklirr und schnellen Tritt, Ratiz stand mit seinem Gefolge vor ihm in Waffen, zum Auszug gerüstet, unter den Kriegern Ingram, waffenlos mit gesenktem Haupt, die Arme durch starke Weiden auf den Rücken gebunden. Ratiz wies auf die Sonne. »Weit ist dein Weg, junger Bote, und widerwärtig ist dein Anblick meinem Volke. Das Spiel, welches in meiner Halle begann, ist beendigt. Sieg und Ruhm haben mir die Götter verliehen. Dennoch will ich dir halten, was ich dir gestern bot, wenn du deinem Bischof mich rühmen willst. Gib mir das Silber und nimm die Gefangenen.«

»Willst du jetzt die Antwort des Bischofs auf deine Frage hören?«

»Sprich,« antwortete Ratiz, »ich und meine Edlen, wir hören.«

»Du begehrst Gesandte an den Hof des Helden Karl nach dem Westland zu senden, und du begehrst, daß mein Herr, der Bischof, ihnen Geleit werbe und geziemenden Empfang bei dem Frankenherrn. Habe ich recht deine Meinung gesagt, so bestätige mir sie vor diesen.«

»Seine eigene Sorge hat jeder Tag,« versetzte der Sorbe, »viele Monde ist‘s her, daß ich nicht an die Gesandtschaft dachte, meine Krieger fürchten nicht die Macht der Franken, wo sind ihre Heere, wir sehen sie nicht.«

»Hast du deinen Sinn geändert, dann bin ich der Rede enthoben.« Er trat zur Seite, Ratiz aber begann einlenkend: »Auf scharfer Wage wägst du die Worte, Fremder, noch ist es möglich, daß mir‘s gefällt die Boten zu entsenden, vielleicht auch nicht.«

Gottfried schwieg.

»Will der Mann, den sie Winfried nennen, mir Bürge werden, daß meine Krieger am Hofe des Frankenherrn freundlichen Empfang finden und Gewähr ihrer Forderung?«

»Nein«, versetzte Gottfried nachdrücklich. »Deine Forderung kennt mein Herr nicht, wie kann er Fürsprech werden? Zu gewähren und zu versagen steht allein bei Herrn Karl, nur daß deine Boten das Ohr des Fürsten erreichen, dazu kann er helfen, und ob er dazu helfen wird, das steht bei dir. Auf seinem Wege sah er brennende Höfe und erschlagene Christen.«

»Du bist ein Fremder und unkundig des Grenzbrauches,« versetzte der Sorbe mit querem Blick, »nur Notwehr üben wir und Vergeltung. Auch unsere Krieger liegen erschlagen und unerträglich sind die Frevel der Franken.«

»Du klagst über Unrecht der Franken, ebenso der Franke über das eure, der große Gott im Himmel allein weiß, wer den größeren Frevel gewagt hat. Jetzt aber suchst du das Ohr des Frankenherrn. Wie mag Herr Karl anders urteilen als sein Volk? Und du suchst die gute Meinung eines Bischofs der Christen, auch der Christ sieht das Unrecht, das den Bekennern seines Glaubens zugefügt ist. Ich kann nicht gehen, Herr, ohne das Weib in der Hütte und ohne meinen Gefährten, den ich schwertlos und gebunden sehe.«

»Er war dein Gefährte, jetzt ist er mein eigener Knecht. Sein Wille war‘s, verspielt hat der Narr sein Roß und sein Schwert, und in Banden harrt er des Schicksals, das wir ihm fügen.«

Ein leiser Seufzer Ingrams wurde gehört, zitternd schwand der Ton in der Morgenluft, aber aus der Hütte klang ein lauter Schrei der Frau. Ratiz herrschte den Gebundenen an: »Rede, Knecht, damit der Mann, der dich gesandt hat, nicht deinetwegen von unserem Vertrag weiche.« Ingram wandte sich ab, aber er senkte bestätigend das Haupt.

»Die Sorge für ihn und das Weib ist mir auf die Seele gelegt,« rief Gottfried, »wie soll ich vor das Antlitz dessen treten, der mich zu dir gesandt hat, wenn ich sie nicht mitbringe?«

»Habe ich nicht schon vorher einen Mann deines Bischofs ohne Losung entlassen?« rief Ratiz zornig dagegen, »und auch du stehst noch unverletzt vor mir. Weißt du nicht, du Tor, wenn ich meine Hand aufhebe, so springen meine Krieger auf dich und schälen mit ihren Messern dein geschorenes Haupt.«

»Mein Schicksal steht nicht in deiner Hand, sondern in der Hand meines Gottes«, versetzte Gottfried mutig. »Tue was du darfst, binde mich, töte mich, wenn dein wilder Sinn dich dazu treibt, aber freiwillig verlasse ich diese Höhe nicht ohne die Gebundenen.«

Ratiz stieß einen Fluch aus und stampfte mit dem Fuß. »So lasse ich dich durch meine Krieger an den Grenzzaun führen und hinüberwerfen, du hartnäckiger Tor.«

»Laß sie frei und behalte mich zurück als Knecht oder als Opfer, wie du willst.«

»Unsinnig wäre der Tausch, ein junges Weib und einen Krieger gegen dich, der nicht Mann und nicht Weib ist.«

Gottfried erblich, aber in strenger Zucht gewöhnt sich zu bezwingen, antwortete er: »Verachtest du den Boten, so höre um deiner selbst willen die Botschaft. Mit einem Volksheer zieht der siegreiche Frankenfürst gegen seine Feinde heran, schon lagert er unweit der Werra; einen neuen Grafen hat er in das Land der Thüringe gesandt, die Grenze zu wahren. Suchst du in Wahrheit Versöhnung und Friede mit dem Frankenherrn, so magst du eilen, deine Gesandten in sein Lager zu schicken.«

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