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Matilda - Roald Dahl

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«Sie könnten ihnen aber einen bleibenden Schaden zufügen, Fräulein Knüppelkuh», rief Fräulein Honig aus.

«Das hab ich ganz bestimmt schon getan», antwortete die Knüppelkuh mit einem Grinsen. «In den letzten paar Minuten haben sich Erichs Ohren todsicher ein beträchtliches Stück gedehnt. Sie sind jetzt ein ganzes Stück länger als vorher. Aber das ist nicht schlimm, Fräulein Honig. Es wird ihm für den Rest seines Lebens eine hochinteressante Ähnlichkeit mit einem Gartenzwerg geben.»

«Aber Fräulein Knüppelkuh...»

«Ach, halten Sie doch die Klappe, Fräulein Honig! Sie sind genauso ein Jammerlappen wie die anderen. Wenn Sie hier mit Ihrer Arbeit nicht zu Rande kommen, dann können Sie ja kündigen und sich in irgendeiner windelweichen Privatschule für verzogene reiche Fratzen eine neue Stellung suchen. Wenn Sie erst einmal so lange unterrichtet haben wie ich, dann werden Sie schon merken, daß es überhaupt keinen Sinn hat, zu Kindern freundlich zu sein. Lesen Sie einmal ‹Nicholas Nickleby›, Fräulein Honig, von Charles Dickens. Lesen Sie von diesem bewundernswürdigen Schulleiter von Dotheboys Hall. Der hat gewußt, wie man mit diesen kleinen Verbrechern umspringen muß, das kann man wohl sagen! Er hat genau gewußt, wie man die Birkenrute zu benutzen hat, das kann man erst recht behaupten! Er hat ihre Hinterteile immer so glühend warm gehalten, daß man sich ein Spiegelei mit Speck darauf hätte braten können. Wirklich, ein hervorragendes Buch. Aber ich glaube nicht, daß diese Horde von Hohlköpfen, die hier vor uns versammelt sind, es jemals lesen können wird, denn so wie die aussehen, werden sie überhaupt nicht lesen lernen.»

«Ich hab’s gelesen», sagte Matilda in aller Seelenruhe.

Die Knüppelkuh fuhr mit dem Kopf herum und musterte das kleine Mädchen mit den dunklen Haaren und den tiefbraunen Augen, das in der zweiten Reihe saß, genau und gründlich. «Was hast du gesagt?» fragte sie scharf.

«Ich habe gesagt, ich hab’s gelesen, Fräulein Knüppelkuh.»

«Was gelesen?»

«‹Nicholas Nickleby›, Fräulein Knüppelkuh.»

«Du lügst mir ins Gesicht, mein Fräulein!» schrie die Knüppelkuh und glotzte Matilda an. «Ich bezweifle stark, daß es in der gesamten Schule auch nur ein einziges Kind gibt, das dieses Buch gelesen hat, und dann willst du hier, noch nicht trocken hinter den Ohren und in der untersten Klasse, mir so einen ungeheuerlichen Bären aufbinden! Was bildest du dir denn ein? Du mußt mich ja für eine Idiotin halten! Hältst du mich für eine Idiotin, Kind?»

«Also...» begann Matilda, zögerte dann jedoch. Sie hätte am liebsten gesagt: ‹Ja, und ob ich das tue›, aber das wäre Selbstmord gewesen. «Also...» wiederholte sie immer noch widerstrebend, immer noch nicht willens, einfach ‹nein› zu sagen.

Die Knüppelkuh ahnte, was im Kopf des Kindes vorging, und das behagte ihr gar nicht. «Steh auf, wenn du mit mir redest», fauchte sie. «Wie heißt du?»

Matilda stand auf und antwortete: «Mein Name ist Matilda Wurmwald, Fräulein Knüppelkuh.»

«Aha, Wurmwald?» wiederholte die Knüppelkuh. «In diesem Fall mußt du die Tochter des Mannes sein, dem die Wurmwald-Werkstatt gehört.»

«Ja, Fräulein Knüppelkuh!»

«Das ist vielleicht ein Gauner!» schrie die Knüppelkuh. «Vor einer Woche hat er mir einen Gebrauchtwagen verkauft und behauptet, er wäre so gut wie neu. Da hab ich ihn noch für einen schlauen Kerl gehalten. Aber als ich heute früh durch die Stadt gefahren bin, ist mir der ganze Motor aus dem Auto und auf die Straße gefallen. War voll bis obenhin mit Sägespänen! Dieser Mann ist ein Dieb und ein Räuber! Ich werde ihm das Fell über die Ohren ziehen lassen, darauf kannst du dich verlassen!»

«Er ist ein guter Geschäftsmann, sehr gescheit!» sagte Matilda.

«Gescheit! Daß ich nicht lache!» brüllte die Knüppelkuh. «Fräulein Honig hat mir gesagt, daß du auch gescheit sein sollst! Also, mein Fräulein, gescheite Leute kann ich ganz und gar nicht ausstehen! Heimtücker sind das alle! Und du bist ganz bestimmt eine Heimtückerin! Bevor ich mich mit deinem Vater erzürnt habe, hat er mir ein paar ziemlich häßliche Geschichten über dein häusliches Benehmen erzählt! Daß du mir ja nicht versuchst, hier in dieser Schule so etwas anzustellen, junge Dame. Ich werde von jetzt an ein wachsames Auge auf dich haben. Setz dich hin und halt den Mund.»

Das erste Wunder

Matilda nahm wieder an ihrem Pult Platz, und die Knüppelkuh ließ sich hinter dem Lehrertisch nieder. Es war das erste Mal, daß sie sich in dieser Stunde hingesetzt hatte. Als nächstes streckte sie die Hand aus und griff nach ihrem Wasserkrug. Während sie ihn festhielt, aber noch nicht anhob, sagte sie: «Ich habe nie begreifen können, warum kleine Kinder so widerwärtig sind. Sie sind der Nagel zu meinem Sarg. Sie sind wie Insekten. Man sollte sie so früh wie möglich vernichten. Fliegen wird man los mit Insektenspray und indem man Fliegenfänger aufhängt. Ich habe immer schon ein Mittel gegen kleine Kinder erfinden wollen. Wäre das wunderbar, wenn ich einfach nur mit einer großen Fliegenspritze in diese Klasse zu treten und dann nur noch zu pumpen brauchte! Ein paar breite Streifen Leimpapier wären natürlich noch besser. Ich würde sie überall in der Schule aufhängen, und ihr würdet samt und sonders dran hängenbleiben, und dann wäre es aus mit euch. Wäre das nicht eine gute Idee, Fräulein Honig?»

«Wenn das ein Scherz sein soll, Frau Rektorin, so halte ich ihn nicht für sehr gelungen», antwortete Fräulein Honig hinten im Klassenraum.

«So, so, so, Fräulein Honig. Das halten Sie also nicht für komisch», antwortete die Knüppelkuh, «aber ich habe nicht beabsichtigt, einen Scherz zu machen. In meiner Vorstellung von einer vollkommenen Schule, Fräulein Honig, kommen überhaupt keine Kinder vor. Und irgendwann werde ich eine solche Schule gründen. Ich glaube, daß sie ein großer Erfolg werden wird.»

Das Weib hat den Verstand verloren, sagte sich Fräulein Honig. Sie ist jenseits von Gut und Böse. Sie ist diejenige, die man loswerden müßte.

Die Knüppelkuh hob nun den großen blauen Krug und goß sich etwas Wasser in ihr Glas. Und plötzlich schlüpfte mit der Flüssigkeit ein langer schlanker schleimiger Molch ins Glas, schlups!

Die Knüppelkuh stieß einen Schrei aus und fuhr von ihrem Stuhl in die Höhe, als ob darunter eine Silvesterrakete losgegangen wäre. Und jetzt sahen auch die Kinder das lange schlanke schleimige eidechsenartige Wasserwesen, das sich mit seinem gelben Bauch im Glas drehte und wandte, und sie kreischten und sprangen ebenfalls in die Höhe und schrien: «Was ist das? Oh, wie gräßlich! Das ist eine Schlange! Das ist ein kleines Krokodil! Ein Alligator!»

«Passen Sie auf, Fräulein Knüppelkuh!» rief Lavendel. «Das beißt bestimmt!»

Die Knüppelkuh aber, dieses machtvolle Riesenweib, stand in ihren grünen Reithosen da und zitterte und bebte wie ein Wackelpudding. Sie kochte vor Zorn, daß es jemandem gelungen war, sie so zu erschrecken und schreien zu lassen, denn sie bildete sich etwas auf ihre Unerschütterlichkeit ein. Sie glotzte das Geschöpf an, das in dem Glas zappelte und paddelte. Merkwürdigerweise hatte sie noch nie einen Wassermolch gesehen. Naturkunde war nicht gerade ihre Stärke. Sie hatte also keine blasse Ahnung, was das für ein Wesen war. Es sah auf jeden Fall höchst widerwärtig aus. Langsam ließ sie sich wieder auf ihrem Stuhl nieder. In diesem Augenblick wirkte sie fürchterlicher denn je. In ihren kleinen schwarzen Augen loderten die Flammen der Wut und des Hasses.

«Matilda!» bellte sie. «Steh auf!»

«Wer, ich?» fragte Matilda. «Was hab ich denn getan?»

«Steh auf, du widerwärtige Wanze!»

«Ich habe nichts gemacht, Fräulein Knüppelkuh, ganz bestimmt nicht. Ich habe dies eklige Ding noch nie gesehen!»

«Sofort stehst du auf, du kleiner Drecksack!»

Matilda stellte sich widerstrebend hin. Sie war in der zweiten Reihe. Lavendel saß in der Reihe hinter ihr und spürte schwache Gewissensbisse. Sie hatte nicht beabsichtigt, ihre Freundin in die Klemme zu bringen. Andererseits war sie felsenfest entschlossen, nichts zuzugeben.

«Du bist ein verschlagenes, heimtückisches, dickköpfiges, boshaftes kleines Biest!» donnerte die Knüppelkuh. «Du gehörst gar nicht in diese Schule. Du solltest hinter Gittern sitzen, da gehörtest du hin! Ich werde dich in Schimpf und Schande aus diesem Institut jagen! Ich werde die Lehrer dazu bringen, dich mit Hockeyschlägern durch die Gänge und aus dem Schultor zu prügeln. Ich werde dem gesamten Lehrkörper befehlen, dich schwerbewaffnet nach Hause zu begleiten. Und dann werde ich dafür sorgen, darauf kannst du dich verlassen, daß sie dich für mindestens vierzig Jahre in ein Zuchthaus für jugendliche Schwerverbrecherinnen stecken!»

Die Knüppelkuh hatte sich so in Wut geredet, daß ihr Gesicht wie gekocht aussah und sich Schaum in ihren Mundwinkeln gesammelt hatte. Aber sie war nicht die einzige, die ihre Gelassenheit verlor. Matilda begann ebenfalls rotzusehen. Es kümmerte sie überhaupt nicht, wenn sie für etwas gescholten wurde, was sie wirklich getan hatte, das entsprach ihrem Sinn für Gerechtigkeit. Aber für ein Verbrechen angeklagt zu werden, das sie ganz und gar nicht begangen hatte, war eine vollkommen neue Erfahrung für sie. Mit diesem Zappelding im Glas hatte sie absolut nichts zu schaffen. Verflixt und zugenäht, dachte sie, das laß ich mir von dieser niederträchtigen Knüppelkuh nicht anhängen!

«Ich hab es nicht getan!» schrie sie.

«Und ob du das hast!» keifte die Knüppelkuh zurück. «Keiner außer dir hätte so eine Gemeinheit ausbrüten können. Dein Vater hat schon recht gehabt, daß er mich vor dir gewarnt hat!»

Die Frau schien jetzt auch das letzte bißchen Selbstbeherrschung verloren zu haben. Sie raste wie eine Wahnsinnige. «Du bist in dieser Schule erledigt, junge Dame!» schrie sie. «Du bist überall erledigt. Ich werde persönlich dafür sorgen, daß man dich in ein so finsteres Loch steckt, daß nicht einmal die Krähen ihren Kot auf dich klackern lassen können. Nie mehr sollst du das Tageslicht sehen!»

«Ich habe Ihnen gesagt, daß ich es nicht getan habe!» schrie Matilda. «Ich habe so ein Tier noch nie in meinem Leben gesehen.»

«Du hast ein... ein... ein Krokodil in mein Trinkwasser gesetzt!» kreischte die Knüppelkuh zurück. «Es gibt auf der ganzen Welt kein schlimmeres Verbrechen gegen eine Schulleiterin! Also, setz dich hin und mucks dich nicht! Los, los, hingesetzt, aber ein bißchen plötzlich!»

«Aber ich sage Ihnen doch...» schrie Matilda und dachte gar nicht daran, sich hinzusetzen.

«Und ich sage dir, daß du den Mund halten sollst!» brüllte die Knüppelkuh. «Wenn du nicht sofort die Klappe hältst und dich auf deine vier Buchstaben setzt, dann schnall ich mir den Gürtel ab und laß dich das Metallende schmecken!»

Langsam ließ sich Matilda nieder. Oh, diese Niedertracht! Diese Ungerechtigkeit! Wie konnten sie es wagen, sie für etwas von der Schule zu werfen, was sie nicht getan hatte!

Matilda spürte, wie sie immer wütender wurde und noch wütender und noch wütender... So unerträglich wütend, daß gleich in ihrem Inneren etwas zerbersten mußte.

Der Molch zappelte immer noch in dem hohen Wasserglas herum. Er sah jedoch so aus, als ob er sich gräßlich ungemütlich fühlte. Das Glas war nicht groß genug für ihn. Matilda starrte die Knüppelkuh an. Wie sie sie haßte! Sie starrte das Glas an, in dem der Molch schwamm. Wie gern wäre sie nach vorn marschiert, hätte das Glas gepackt und den ganzen Inhalt samt Molch und allem Drum und Dran der Knüppelkuh auf den Kopf geschüttet. Sie zitterte, wenn sie nur daran dachte, was die Knüppelkuh ihr antun würde, wenn sie das wirklich machte.

Die Knüppelkuh saß hinter dem Lehrertisch und starrte den im Glas strampelnden Wassermolch mit einer Mischung aus Faszination und Schrecken an. Auch Matildas Augen waren auf das Glas gerichtet. Und jetzt begann ein höchst ungewohntes und merkwürdiges Gefühl still und sachte von ihr Besitz zu ergreifen. Dieses Gefühl saß vor allem in den Augen. Es schien sich dort eine Art Elektrizität anzusammeln. Eine spürbare Kraft entwickelte sich in ihren Augen, das Gefühl einer großen Macht nistete sich tief in ihnen ein. Aber da war noch etwas anderes, eine Empfindung, die sie erst recht nicht begreifen konnte. Es zuckte auf wie Blitze, und es zischte in Wellen aus ihren Augen heraus. Ihre Augäpfel wurden regelrecht heiß und glühend, als ob sich irgendwo in ihrem Zentrum eine enorme Energiequelle gebildet hätte. Das war ein fabelhaftes Gefühl. Sie ließ ihre Augen unverwandt auf dem Glas ruhen, und jetzt richtete sich die gesamte Kraft auf einen kleinen Punkt in jedem Auge und wurde immer mächtiger, und es fühlte sich so an, als ob Millionen winzig kleiner unsichtbarer Arme, an denen Hände saßen, aus ihren Augen heraus und auf das Glas schossen, das sie anschaute.

«Kippt es um!» flüsterte Matilda. «Kippt es um!»

Sie sah das Glas schwanken. Es neigte sich tatsächlich ein wenig zur Seite, richtete sich dann aber wieder auf. Sie fuhr fort, mit all diesen Millionen und aber Millionen unsichtbarer kleiner Arme und Hände, die aus ihren Augen fuhren, dagegen zu stoßen, wobei sie ständig die Kraft fühlte, die aus den beiden kleinen schwarzen Punkten im innersten Inneren ihrer Augen strahlte. «Kippt es um!» flüsterte sie wieder. «Kippt es um!»

Das Glas schwankte abermals. Sie stieß noch kräftiger dagegen, zwang ihre Augen, noch stärkere Kraft herausstrahlen zu lassen. Und da, sehr sehr langsam, so langsam, daß sie es kaum verfolgen konnte, begann sich das Glas nach hinten zu neigen, mehr und mehr und immer mehr nach hinten, bis es auf der Kippe stand. Und so schwebte es ein paar Augenblicke lang, ehe es endgültig umkippte und mit einem scharfen Klirren auf die Tischplatte fiel.

Das Wasser und der zappelnde Molch ergossen sich auf Fräulein Knüppelkuhs gewaltigen Busen. Die Schulleiterin stieß einen Schrei aus, der auch den letzten Dachziegel auf dem ganzen Haus zum Klappern gebracht haben mußte, und schoß zum zweitenmal in den letzten fünf Minuten wie eine Rakete von ihrem Stuhl. Der Molch klammerte sich verzweifelt an dem Baumwollkittel fest, der den enormen Brustkasten umhüllte, und blieb dort mit seinen kleinen feuchten Klauen kleben. Die Knüppelkuh schaute nach unten, sah ihn, heulte womöglich noch lauter und wischte ihn mit einer einzigen Handbewegung ab, so daß das Tier quer durch den Klassenraum flog. Es landete neben Lavendels Pult, die sich geschwind bückte, es aufhob und zum zweitenmal in ihren Griffelkasten steckte. Es ist doch sehr nützlich, dachte sie bei sich, immer einen Wassermolch bei der Hand zu haben.

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