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Matilda - Roald Dahl

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«Die gab’s zu Mittag, Fräulein Knüppelkuh.»

«Und schmierst du dir immer dein Mittagessen vorne aufs Hemd, Nigel? Hat dir das dein berühmter Arzt-Vater beigebracht?»

«Gebackene Bohnen lassen sich schlecht essen, Fräulein Knüppelkuh. Sie fallen mir immer von der Gabel.»

«Du bist ekelhaft!» fauchte die Knüppelkuh. «Du bist eine wandelnde Bazillenfabrik! Ich wünsche nicht, dich heute noch einmal zu sehen. Los, stell dich in die Ecke, und zwar auf einem Bein und mit dem Gesicht zur Wand!»

«Aber Fräulein Knüppelkuh...»

«Keine Widerworte, Junge. Sonst laß ich dich Kopfstand machen! Also tu, was ich dir gesagt habe!»

Nigel schlich davon.

«Jetzt bleib, wo du bist, Junge, während ich deine Rechtschreibung prüfe, um zu sehen, ob du in dieser Woche überhaupt etwas gelernt hast. Und dreh dich nicht um, wenn du mit mir sprichst. Laß dein scheußliches kleines Gesicht an der Wand. Und jetzt los, buchstabier Pferd.»

«Welches denn?» fragte Nigel. «Das, was der Wagen tut, oder das, was den Wagen zieht?» Er war zufällig ein ungewöhnlich aufgewecktes Kind, und seine Mutter hatte ihm schon zu Hause ziemlich viel Lesen und Schreiben beigebracht.

«Das, was den Wagen zieht, du Holzkopf!»

Nigel buchstabierte das Wort fehlerfrei, was die Knüppelkuh verblüffte. Sie hatte sich eingebildet, sie hätte ihm ein Wort mit besonders vielen Fußfallen gegeben, eins, das er vielleicht noch gar nicht gehabt hatte, und es verdarb ihr die Laune, daß er die Aufgabe richtig gelöst hatte.

Da sagte Nigel, der immer noch auf einem einzigen Bein balancierte und die Klassenwand anschaute: «Fräulein Honig hat uns gestern beigebracht, ein ganz langes neues Wort zu buchstabieren.»

«Und was ist das für ein Wort gewesen?» fragte die Knüppelkuh mit milder Stimme. Je milder ihre Stimme wurde, desto größer wurde die Gefahr. Aber das konnte Nigel noch nicht wissen.

«Kapuziner», antwortete Nigel, «jetzt können alle in der Klasse Kapuziner buchstabieren.»

«Was für ein Unfug!» bemerkte die Knüppelkuh. «So lange Wörter sollt ihr frühestens mit acht oder neun lernen. Du kannst mir also nicht vormachen, daß jeder in der Klasse dieses Wort buchstabieren kann. Du lügst mir ins Gesicht, Nigel.»

«Fragen Sie doch wen», sagte Nigel in einem Anfall von Tollkühnheit, «fragen Sie, wen Sie wollen.»

Die gefährlich glitzernden Augen der Knüppelkuh wanderten gemächlich durch die Klasse. «Du», sagte sie und deutete auf ein winziges und ziemlich dämliches kleines Mädchen namens Paula, «buchstabier Kapuziner.»

Verblüffenderweise buchstabierte Paula das Wort wie aus der Pistole geschossen und ohne einen Fehler.

Die Knüppelkuh war völlig baff. «Hm», schnaubte sie, «soll ich also annehmen, daß Fräulein Honig eine ganze Unterrichtsstunde vergeudet hat, nur um euch beizubringen, wie man ein einziges Wort buchstabiert?»

«O nein, ganz und gar nicht», piepste Nigel. «Fräulein Honig hat es uns in drei Minuten so beigebracht, daß wir es nie wieder vergessen. Sie hat uns viele Wörter in drei Minuten beigebracht.»

«Und worin beruht diese Zaubermethode, Fräulein Honig?» fragte die Schulleiterin.

«Ich werd’s Ihnen vormachen», piepste wieder der tapfere Nigel, um Fräulein Honig zu retten. «Darf ich bitte mein Bein wieder runternehmen und mich umdrehen, wenn ich’s Ihnen vormache?»

«Weder noch!» fuhr ihn die Knüppelkuh an. «Bleib wie du bist und wo du bist und mach’s mir trotzdem vor.»

«Na schön», antwortete Nigel, der wie betrunken auf seinem einen Bein hin und her schwankte. «Fräulein Honig bringt uns zu jedem Wort ein kleines Liedchen bei, und dann singen wir’s alle zusammen und haben im Handumdrehen das Buchstabieren gelernt. Möchten Sie vielleicht gerne unser Kapuziner-Lied hören?»

«Ich kann mich kaum zurückhalten», säuselte die Knüppelkuh mit einer Stimme, die vor Hohn und Spott nur so triefte.

«Das geht so», sagte Nigel:

«K, a – ka

p, u – pu

apu – kapu – z

apuziner Kapuziner –

Das ist nett.

So buchstabiert man Kapuziner.»

«So etwas Idiotisches!» schnaubte die Knüppelkuh. «Und so ein Durcheinander! Außerdem sollt ihr keine Gedichte lernen, wenn Rechtschreibung auf dem Stundenplan steht. Das wird in Zukunft gestrichen, Fräulein Honig.»

«Aber es hilft ihnen so gut, einige von den schwereren Wörtern richtig zu behalten», murmelte Fräulein Honig.

«Keine Widerworte, Fräulein Honig», donnerte die Schulleiterin. «Sie tun, was ich Ihnen sage! Ich werde die Klasse jetzt im Malnehmen prüfen, mal sehen, ob Fräulein Honig imstande gewesen ist, euch wenigstens in dieser Hinsicht etwas beizubringen.» Die Knüppelkuh hatte wieder ihren Platz vor der Klasse eingenommen, und ihr teuflischer Blick schweifte langsam durch die Reihen ihrer kleinen Schüler. «Du!» bellte sie und deutete auf einen kleinen Jungen namens Rupert in der ersten Reihe. «Wieviel ist zwei mal sieben?»

«Sechzehn», antwortete Rupert dummerweise, ohne richtig darüber nachzudenken.

Die Knüppelkuh begann sich langsam und auf leisen Füßen an Rupert anzuschleichen wie eine Tigerin, die ein kleines Beutetier gewittert hat. Rupert wurde sich plötzlich der drohenden Gefahr bewußt und versuchte, sich schnell zu verbessern. «Achtzehn!» schrie er. «Zwei mal sieben ist achtzehn, nicht sechzehn!»

«Du schwachsinnige kleine Schnecke!» zischte die Knüppelkuh. «Du hirnloser Hornochse! Du hohlköpfiger Hamster! Du dummerhaftiger Dreckskerl!» Sie hatte sich unterdessen direkt hinter Rupert aufgepflanzt, und plötzlich streckte sie eine Hand von der Größe eines Tennisschlägers aus und grub die Finger in Ruperts Haare. Rupert hatte einen üppigen goldblonden Haarschopf, der seiner Mutter so gut gefiel, daß sie ihn hegte und pflegte und zu ihrem eigenen Entzücken relativ lang wachsen ließ. Der Knüppelkuh waren nun langhaarige Knaben ebenso zuwider wie Mädchen mit Zöpfen und Rattenschwänzen, und sie schickte sich an, diesen Widerwillen praktisch zu beweisen. Sie ballte ihre gewaltige Faust fest in Ruperts langen goldenen Locken und hob ihren muskelstrotzenden rechten Arm, so daß der hilflose Junge schwups aus seiner Bank gehoben wurde und in der Luft schwebte.

Rupert schrie. Er zappelte und strampelte, fuhr mit den Füßen in der Luft herum und kreischte wie ein abgestochenes Schwein, während Fräulein Knüppelkuh röhrte: «Zwei mal sieben ist vierzehn! Zwei mal sieben ist vierzehn! Ich laß dich nicht los, bis du das kapiert hast!»

Aus dem Hintergrund der Klasse rief Fräulein Honig: «Fräulein Knüppelkuh! Lassen Sie ihn bitte los! Sie tun ihm doch weh! Sie können ihm die Haare ausreißen!»

«Und ob das passieren kann, wenn er so weiter zappelt!» schnaubte die Knüppelkuh. «Halt still, du winselnder Wurm!»

Es war wirklich ein ganz außerordentlicher Anblick, wie diese riesenhafte Lehrerin den kleinen Jungen hoch in der Luft baumeln ließ, während dieser wie ein Häufchen Unglück am Ende einer Strippe zu hängen und sich um sich selbst zu drehen schien und sich dabei die Seele aus dem Leibe schrie.

«Sprich mir nach!» bellte die Knüppelkuh. «Sag, zwei mal sieben ist vierzehn! Und ein bißchen Beeilung, sonst fang ich an, dich auf- und abzuschütteln, und dann reißen dir die Haare wahrscheinlich wirklich aus, und das wird reichen, um ein ganzes Sofa damit zu polstern. Also vorwärts, Junge! Sag, zwei mal sieben ist vierzehn, dann laß ich dich los!»

«Zweizweizwei... zwei mal siesie... sieben ist viervier... vierzehn», keuchte Rupert, woraufhin die Knüppelkuh, getreu ihrem Versprechen, einfach die Faust öffnete und ihn buchstäblich losließ. Er hatte noch ziemlich hoch über dem Boden geschwebt, als sie ihn befreite, und er stürzte ab, knallte auf den Boden und prallte wie ein Fußball ab und in die Höhe.

«Stell dich hin und hör auf zu heulen!» befahl die Knüppelkuh.

Rupert stand auf und ging zu seinem Pult zurück, wobei er sich mit beiden Händen den Schädel rieb. Die Knüppelkuh baute sich wieder vor der Klasse auf. Die Kinder saßen wie gebannt. So etwas hatten sie noch nie erlebt. Das war eine fabelhafte Vorstellung, viel besser als eine Pantomime, allerdings mit einem großen Unterschied. Hier in diesem Zimmer ragte eine gewaltige menschliche Bombe vor ihnen auf, die in jedem Augenblick explodieren und irgendeinen in der Luft zerreißen konnte. Die Kinder ließen die Schulleiterin nicht aus den Augen. «Kleine Leute kann ich nicht ausstehen», sagte sie gerade, «kleine Leute sollten unsichtbar bleiben. Man sollte sie wie Haarnadeln und Knöpfe in Kästen sperren. Aus den Augen, aus dem Sinn. Mir ist wirklich schleierhaft, warum Kinder so lange zum Wachsen brauchen. Ich werd das Gefühl nicht los, daß sie mit Absicht so herumtrödeln.»

Ein zweiter tollkühner kleiner Junge in der ersten Bank ergriff das Wort und sagte: «Aber Sie sind doch sicher auch einmal ein kleines Kind gewesen, Fräulein Knüppelkuh, nicht wahr?»

«Ich bin niemals klein gewesen», fuhr sie ihn an, «ich bin immer schon groß gewesen, mein ganzes Leben lang. Und ich seh nicht ein, warum die andern das nicht genauso können.»

«Aber Sie müssen doch auch als Säugling angefangen haben», sagte der Junge.

«Ich! Ein Säugling!» schrie die Knüppelkuh. «Wie kannst du es nur wagen, so etwas zu behaupten! Was für eine Frechheit! Was für eine infernalische Ignoranz! Wie heißt du, Junge? Und steh auf, wenn du mit mir sprichst!»

Der Junge stand auf. «Mein Name ist Erich Tinte, Fräulein Knüppelkuh», antwortete er.

«Erich was?» rief die Knüppelkuh.

«Tinte», sagte der Junge.

«Benimm dich nicht so albern, Junge! So heißt man nicht!»

«Sie brauchen nur im Telefonbuch nachzuschlagen», sagte Erich, «da finden Sie meinen Vater unter Tinte.»

«Na gut», sagte die Knüppelkuh, «dann heißt du also Tinte, junger Mann, aber ich will dir mal etwas verraten. In der Tinte sitzt du schon, und ich werd dich in die Tinte tauchen, wenn du noch einmal versuchst, derartig unverschämt zu sein. Buchstabiere Grieß.»

«Dies?» stotterte Erich. «Was denn, wen denn?»

«Grieß, du Idiot, nicht dies! Also: Buchstabier Grieß!»

«G... R... I... S», antwortete Erich ein wenig zu hastig.

Ein unheilschwangeres Schweigen breitete sich aus.

«Du kannst es noch einmal versuchen», sagte die Knüppelkuh, ohne sich zu regen.

«Ach ja, ich weiß schon», sagte Erich. «Da muß noch ein E rein. G...R...I...E...S. Das ist ja ganz klar.»

Mit zwei gewaltigen Schritten stand die Knüppelkuh hinter Erichs Pult und blieb dort stehen, eine Salzsäule, die wie das rächende Schicksal selbst über dem hilflosen Jungen aufragte.

Erich warf über die Schulter einen ängstlichen Blick auf das Ungeheuer. «Es war doch richtig, nicht?» murmelte er unruhig.

«Falsch war’s!» krächzte die Knüppelkuh. «Du scheinst mir eine von diesen pickeligen Pockennarben zu sein, die alles falsch machen! Du sitzt falsch! Du siehst falsch aus! Du redest falsch! Du bist am ganzen Leibe falsch! Ich geb dir noch eine allerletzte Gelegenheit, es richtig zu machen. Los, buchstabier Grieß!»

Erich zögerte. Dann sagte er sehr langsam: «Es ist nicht G...R...I...S, und es ist auch nicht G...R...I...E...S. Aha, ich weiß schon. Es muß also G...R...I...E...Z sein.»

Die Knüppelkuh, die immer noch hinter Erich stand, griff sich den Jungen bei seinen beiden Ohren, wobei sie mit jeder Hand eines packte und sie zwischen Daumen und Zeigefinger zwickte und zwirbelte.

«Auatsch», rief Erich, «aua! Sie tun mir weh!»

«Damit hab ich noch gar nicht angefangen», sagte die Knüppelkuh kurz angebunden. Bei diesen Worten packte sie ihn noch fester bei den Ohren, hob ihn buchstäblich von seinem Platz und ließ ihn in der Luft schweben.

Erich heulte genauso auf wie vor ihm Rupert und schrie, daß die Wände wackelten.

Aus dem Hintergrund des Klassenraums rief Fräulein Honig:

«Nicht doch, Fräulein Knüppelkuh! Lassen Sie ihn bitte wieder los! Sie reißen ihm ja die Ohren ab!»

«Die reißen nicht ab», rief die Knüppelkuh zurück, «darin hab ich eine lange Erfahrung, Fräulein Honig, und ich habe festgestellt, daß den kleinen Jungen die Ohren ziemlich fest am Schädel sitzen.»

«Lassen Sie ihn los, Fräulein Knüppelkuh, bitte», bat Fräulein Honig, «Sie könnten ihn verletzen, ganz bestimmt. Sie könnten sie ihm abreißen!»

«Ohren sitzen bombenfest!» rief die Knüppelkuh. «Sie ziehen sich ganz erstaunlich in die Länge, wie es diese jetzt schon tun, aber abreißen, das kann ich Ihnen versichern, abreißen werden sie nie.»

Erich heulte noch lauter als zuvor und strampelte mit den Beinen in der Luft.

Matilda hatte noch niemals einen Jungen oder überhaupt einen Menschen gesehen, der nur an den Ohren in der Luft hing. Sie war genauso wie Fräulein Honig fest davon überzeugt, daß die Ohren durch das Gewicht, das an ihnen zog, in jedem Augenblick abreißen mußten.

Die Knüppelkuh schrie: «Das Wort Grieß wird G...R...I... E... S... Z geschrieben. Buchstabier’s mir nach, du Lümmel.»

Erich zögerte keine Sekunde.

Er hatte aus dem, was er vor ein paar Minuten bei Rupert beobachtet hatte, sofort die Lehre gezogen: Je schneller man antwortet, desto schneller wird man befreit. «Grieß buchstabiert man: G...R...I...E...S...Z», heulte er.

Die Knüppelkuh senkte ihn an beiden Ohren wieder auf seinen Platz hinter dem Pult. Dann marschierte sie vor die Klasse zurück und klopfte sich die Hände ab, als ob sie gerade etwas Schmutziges angefaßt hätte.

«So bringt man sie zum Lernen, Fräulein Honig», bemerkte sie. «Glauben Sie mir, es hat überhaupt keinen Zweck, wenn man es ihnen nur vorpredigt. Man muß es ihnen richtiggehend einbleuen. Es geht nichts über ein paar Kniffe und Püffe. Das hilft ihrem Gedächtnis auf die Sprünge. Das bringt sie dazu, sich prächtig zu konzentrieren.»

«Sie könnten ihnen aber einen bleibenden Schaden zufügen, Fräulein Knüppelkuh», rief Fräulein Honig aus.

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