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Durch die Wuste - Karl May

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»Allah, du Gott der Allmacht und Gerechtigkeit, höre mich! Muhammed, du Prophet des Allerhöchsten, höre mich! Ihr Kalifen und Märtyrer des Glaubens, hört mich! Ich, Omar Ben Sadek, werde nicht eher lachen, nicht eher meinen Bart beschneiden, nicht eher die Moschee besuchen, als bis die Dschehennah aufgenommen hat den Mörder meines Vaters! Ich schwöre es!«

Ich war tief erschüttert von diesem Schwure, durfte aber nichts dagegen sagen. Nun setzte er sich zu uns und bat mit beinahe unnatürlicher Ruhe:

»Erzählt!«

Halef folgte seinem Wunsche. Als er fertig war, erhob sich der Jüngling.

»Kommt!«

Nur das eine Wort sprach er; dann schritt er voran, wieder in der Richtung zurück, aus der er gekommen war.

Wir hatten bereits vorher die schwierigsten Stellen des Weges überwunden; es war keine große Gefahr mehr zu befürchten, trotzdem wir den ganzen Abend und die ganze Nacht hindurch marschierten. Am Morgen betraten wir das Ufer der Halbinsel Nifzaua und sahen Fetnassa vor uns liegen.

»Was nun?« fragte Halef.

»Folgt mir nur!« antwortete Omar.

Dies war das erste Wort, welches ich seit gestern von ihm hörte. Er schritt auf die dem Strande zunächst gelegene Hütte zu. Ein alter Mann saß vor derselben.

»Sallam aaleïkum!« grüßte Omar.

»Aaleïkum,« dankte der Alte.

»Du bist Abdullah el Hamis, der Salzverwieger?«

»Ja.«

»Hast du gesehen den Chabir Arfan Rakedihm aus Kris?«

»Er betrat bei Tagesanbruch mit einem fremden Manne das Land.«

»Was taten sie?«

»Der Chabir ruhte bei mir aus und ging dann nach Bir Rekeb, um von da nach Kris zurückzukehren. Der Fremde aber kaufte sich bei meinem Sohne ein Pferd und fragte nach dem Wege nach Kbilli.«

»Ich danke dir, Abu el Malah[15]!«

Er ging schweigend weiter und führte uns in eine Hütte, wo wir einige Datteln aßen und eine Schale Lagmi tranken. Dann ging es nach Beschni, Negua und Mansurah, wo wir auf unsere Erkundigungen überall in Erfahrung brachten, daß wir dem Gesuchten auf den Fersen seien. Von Mansurah ist es gar nicht weit bis zu der großen Oase Kbilli. Dort gab es damals noch einen türkischen Wekil[16], welcher unter der Aufsicht des Regenten von Tunis den Nifzaua verwaltete. Hierzu waren ihm zehn Soldaten zur Verfügung gestellt worden.

Wir begaben uns zunächst in ein Kaffeehaus, wo Omar nicht lange Ruhe hatte. Er verließ uns, um Erkundigungen einzuziehen, und kehrte erst nach einer Stunde zurück.

»Ich habe ihn gesehen,« meldete er.

»Wo?« fragte ich.

»Beim Wekil.«

»Beim Statthalter?«

»Ja. Er ist sein Gast und trägt sehr prächtige Kleidung. Wenn ihr mit ihm reden wollt, so müßt ihr kommen, denn es ist jetzt die Zeit der Audienz.«

Mein Interesse war im höchsten Grade erregt. Ein steckbrieflich verfolgter Mörder war der Gast eines großherrlichen Statthalters!

Omar führte uns über einen freien Platz hinweg nach einem steinernen, niedrigen Hause, dessen Umfassungsmauern keine Spur von Fenstern zeigten. Vor der Tür desselben standen Nefers[17], welche vor einem Onbaschi[18] exerzierten, während der Saka[19] zuschauend an der Tür lehnte. Wir wurden ohne Widerstand eingelassen und von einem Neger um unser Begehr befragt. Er führte uns in das Selamlük, einen kahlwändigen Raum, dessen einzige Ausstattung in einem alten Teppiche bestand, der in einer Ecke des Zimmers ausgebreitet war. Auf demselben saß ein Mann mit verschwommenen Gesichtszügen, welcher aus einer uralten persischen Hukah Tabak rauchte.

»Was wollt ihr?« fragte er.

Der Ton, in dem diese Frage ausgesprochen wurde, behagte mir nicht. Ich antwortete daher mit einer Gegenfrage:

»Wer bist du?«

Er sah mich in starrem Erstaunen an und antwortete:

»Der Wekil!«

»Wir wollen mit dem Gaste reden, welcher heut oder gestern bei dir angekommen ist.«

»Wer bist du?«

»Hier ist mein Paß.«

Ich gab ihm das Dokument in die Hand. Er warf einen Blick darauf, faltete es zusammen und steckte es in die Tasche seiner weiten Pumphosen.

»Wer ist dieser Mann?« fragte er dann weiter, indem er auf Halef deutete.

»Mein Diener.«

»Wie heißt er?«

»Er nennt sich Hadschi Halef Omar.«

»Wer ist der andere?«

»Er ist der Führer Omar Ben Sadek.«

»Und wer bist du selbst?«

»Du hast es ja gelesen!«

»Ich habe es nicht gelesen.«

»Es steht in meinem Passe.«

»Er ist mit den Zeichen der Ungläubigen geschrieben. Von wem hast du ihn?«

»Von dem französischen Gouvernement in Algier.«

»Das französische Gouvernement in Algier gilt hier nichts. Dein Paß hat den Wert eines leeren Papieres. Also, wer bist du?«

Ich beschloß, den Namen zu behalten, welchen mir Halef gegeben hatte.

»Ich heiße Kara Ben Nemsi.«

»Du bist ein Sohn der Nemsi? Ich kenne sie nicht. Wo wohnen sie?«

»Vom Westen der Türkei bis an die Länder der Fransezler und Engleterri.«

»Ist die Oase groß, in der sie leben, oder haben sie mehrere kleine Oasen?«

»Sie bewohnen eine einzige Oase, die aber so groß ist, daß fünfzig Millionen Menschen auf ihr wohnen.«

»Allah akbar, Gott ist groß! Es gibt Oasen, in denen es von Geschöpfen wimmelt. Hat diese Oase auch Bäche?«

»Sie hat fünfhundert Flüsse und Millionen Bäche. Viele von diesen Flüssen sind so groß, daß Schiffe auf ihnen fahren, die mehr Menschen fassen, als Basma oder Rahmath Einwohner hat.«

»Allah kerihm, Gott ist gnädig! Welch ein Unglück, wenn alle diese Schiffe in einer Stunde von den Flüssen verschlungen würden! An welchen Gott glauben die Nemsi?«

»Sie glauben an deinen Gott, aber sie nennen ihn nicht Allah sondern Vater.«

»So sind sie wohl nicht Sunniten, sondern Schiiten?«

»Sie sind Christen.«

»Allah iharkilik, Gott verbrenne dich! So bist du also auch ein Christ?«

»Ja.«

»Ein Giaur? Und du willst es wagen, mit dem Wekil von Kbilli zu reden! Ich werde dir die Bastonnade geben lassen, wenn du nicht sogleich dafür sorgest, daß du mir aus den Augen kommst!«

»Habe ich etwas getan, was gegen die Gesetze ist oder was dich beleidigt?«

»Ja. Ein Giaur darf sich niemals unterstehen, mir unter die Augen zu treten. Also wie heißt hier dieser dein Führer?«

»Omar Ben Sadek.«

»Gut! Omar Ben Sadek, wie lange dienst du diesem Nemsi?«

»Seit gestern.«

»Das ist nicht lange. Ich will also gnädig sein und dir nur zwanzig Hiebe auf die Fußsohle geben lassen.«

Zu mir gewendet, fuhr er fort:

»Und wie heißt dieser dein Diener hier?«

»Allah akbar, Gott ist groß, aber er hat leider dein Gedächtnis so klein gemacht, daß du dir nicht einmal zwei Namen merken kannst! Mein Diener heißt, wie ich dir bereits gesagt habe, Hadschi Halef Omar.«

»Du willst mich beschimpfen, Giaur? Ich werde nachher dein Urteil fällen! Also, Halef Omar, du bist ein Hadschi und dienst einem Ungläubigen? Das verdient doppelte Streiche. Wie lange Zeit bist du bereits bei ihm?«

»Fünf Wochen.«

»So wirst du sechzig Hiebe auf die Fußsohlen erhalten und darauf fünf Tage hungern und dürsten müssen! Und du, nun wieder; wie war dein Name?«

»Kara Ben Nemsi.«

»Gut, Kara Ben Nemsi, du hast drei große Verbrechen begangen.«

»Welche, Sihdi?«

»Ich bin kein Sihdi; du hast mich Dschenabin-iz oder Hazretin-iz, also Euer Gnaden oder Euer Hoheit zu nennen! Deine Verbrechen sind folgende: du hast erstens zwei Rechtgläubige verführt, dir zu dienen, macht fünfzehn Stockschläge; du hast zweitens es gewagt, mich in meinem Kef zu stören, macht wieder fünfzehn Stockschläge; du hast drittens an meinem Gedächtnisse gezweifelt, macht zwanzig Stockschläge; zusammen also fünfzig Hiebe auf die Fußsohle. Und da es mein Recht ist, für jeden Richterspruch das Wergi, die Abgabe, zu verlangen, so wird alles, was du besitzest und bei dir trägst, von jetzt an mir gehören; ich konfisziere es.«

»O, großer Dschenabin-iz, ich bewundere dich; deine Gerechtigkeit ist erhaben, deine Weisheit ganz erhaben, deine Gnade noch erhabener und deine Klugheit und Schlauheit am allererhabensten! Aber ich bitte dich, edler Bei von Kbilli, laß uns deinen Gast sehen, ehe wir die Streiche erhalten.«

»Was willst du von ihm?«

»Ich vermute, daß er ein Bekannter von mir ist, und möchte mich an seinem Anblick weiden.«

»Er ist kein Bekannter von dir. Denn er ist ein großer Krieger, ein edler Sohn des Sultans und ein strenger Anhänger des Kuran; er ist also nie der Bekannte eines Ungläubigen gewesen. Aber damit er sehe, wie der Wekil von Kbilli Verbrechen bestraft, werde ich ihn kommen lassen. Nicht du sollst dich an seinem Anblick weiden, sondern er soll sich an den Hieben ergötzen, welche ihr erhaltet. Er wußte, daß ihr kommen würdet.«

»Ah! Woher wußte er es?«

»Ihr seid vorhin an ihm vorübergegangen, ohne ihn zu sehen, und er hat euch sofort bei mir angezeigt. Wäret ihr nicht von selbst gekommen, so hätte ich euch holen lassen.«

»Er hat uns angezeigt? Weshalb?«

»Das werdet ihr noch hören. Ihr sollt dann eine zweite Strafe erhalten, die noch größer ist als diejenige, welche ich euch vorhin diktiert habe.«

Das war nun allerdings ein eigentümlicher, wunderlicher Verlauf, den unsere Audienz bei diesem Beamten nahm. Ein Wekil mit zehn Stück Soldaten in einer so vorgeschobenen, vergessenen Oase – er war jedenfalls einmal nichts anderes gewesen, als höchstens Tschausch oder Mülasim[20], und man weiß ja, was man von einem türkischen Leutnant zu halten hat. Diese Subalternen sind oder waren nichts anderes, als die Stiefelputzer und Pfeifenstopfer der höheren Chargen. Man hatte den guten Mann nach Kbilli gesetzt, um ihm Gelegenheit zu geben, für sich selbst zu sorgen, und dann jedenfalls nie wieder an ihn gedacht, denn der Bei von Tunis hatte bereits alle türkischen Soldaten aus dem Lande gejagt, und die Beduinenstämme standen nur in der Weise unter dem Schutze des Großherrn, daß er ihren Häuptlingen jährlich die ausbedungenen Ehrenburnusse schickte, während sie sich ihm dadurch dankbar erwiesen, daß sie gar nicht mehr an ihn dachten. Der brave Wekil war also in Beziehung auf seinen Unterhalt auf Erpressung angewiesen, und da dies den Eingebornen gegenüber immer eine gefährliche Sache war, so mußte ihm ein Fremder wie ich ganz gelegen kommen. Er wußte nichts von Deutschland; er kannte nicht die Bedeutung der Konsulate; er wohnte unter räuberischen Nomaden, glaubte mich schutzlos und nahm also an, ungestraft tun zu können, was ihm beliebte.

Allerdings hatte es seine Richtigkeit, daß ich nur auf mich selbst angewiesen war, aber es fiel mir doch nicht ein, mich vor »Seiner Hoheit« zu fürchten, vielmehr machte es mir Spaß, daß er uns in so genialer Unverfrorenheit mit der Bastonnade beglücken wollte. Zugleich war ich neugierig, ob sein Gastfreund wirklich der von uns gesuchte sei. Omar konnte sich ja geirrt haben, was mir allerdings nicht wahrscheinlich erschien, wenn ich in Betracht zog, daß dieser Gastfreund uns angezeigt hatte. Welches Verbrechens er uns bezüchtigt hatte, ahnte ich. Jedenfalls war er ein früherer Bekannter des Wekil und benutzte dies, uns auf irgend eine Weise unschädlich zu machen.

Der Statthalter klatschte in die Hände, und sogleich erschien ein schwarzer Diener, der sich vor ihm, wie vor dem Sultan, auf die Erde warf. Der Wekil flüsterte ihm einige Worte zu, worauf er sich entfernte. Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür, und die zehn Soldaten mit ihrem Onbaschi traten ein. Sie boten einen kläglichen Anblick in ihren aus allen möglichen Fetzen zusammengesetzten Kleidern, die nicht im mindesten einer militärischen Uniform glichen; die meisten von ihnen waren barfuß, und alle trugen Gewehre, mit denen man alles eher tun konnte, als schießen. Sie warfen sich kunterbunt durcheinander vor dem Wekil nieder, der sie zunächst mit einem möglichst martialischen Blick musterte und dann seinen Befehl aussprach:

»Kalkyn – steht auf!«

Sie erhoben sich, und der Onbaschi riß seinen mächtigen Sarras aus der Scheide.

»Kylyn syraji – bildet die Reihe!« brüllte er mit einer Stentorstimme.

Sie stellten sich nebeneinander und hielten die Flinten nach Belieben in den braunen Händen.

»Has – dur – das Gewehr über!« kommandierte er nun.

Die Flinten flogen empor, stießen gegeneinander, gegen die Mauer oder gegen die Köpfe der stattlichen Helden, kamen aber doch nach einiger Zeit glücklich auf die Achseln ihrer Besitzer zu liegen.

»Isalam – dur – präsentiert das Gewehr!«

Wieder bildeten die Flinten einen wirren Knäuel, bei dessen Unentwirrbarkeit es kein Wunder war, daß die eine ihren Lauf verlor. Der Soldat bückte sich gemächlich nieder, hob ihn in die Höhe, betrachtete ihn von allen Seiten, hielt ihn dann gegen das Licht, um hindurchzugucken und sich zu überzeugen, daß das Loch, aus dem geschossen wird, noch vorhanden sei, zog dann eine Palmenfaserschnur aus der Tasche und band den desertierten Lauf behutsam auf dem Orte fest, wo er hingehörte, nämlich an den Schaft. Dann endlich brachte er die restaurierte Waffe mit höchst befriedigter Miene in diejenige Lage, welche mit dem letzten Kommandoworte vorgeschrieben war.

»Sessiz, söjle-me-niz – steht still und schwatzt nicht!«

Bei diesem Rufe drückten sie die Lippen mit sichtlicher Kraft und Energie zusammen und ließen durch ein sehr ernsthaftes Augenzwinkern erkennen, daß es ihr unumstößlicher Wille sei, keinen Laut von sich zu geben. Sie merkten, daß sie geholt worden seien, drei Verbrecher zu bewachen, und da galt es also, uns zu imponieren.

Ich mußte mir wirklich Mühe geben, bei diesem sonderbaren Exerzitium ernsthaft zu bleiben, und wie ich deutlich bemerkte, hatte meine heitere Laune zugleich den Erfolg, den Mut meiner beiden Begleiter zu befestigen.

Und wieder öffnete sich die Tür. Der Erwartete trat ein. Er war es.

Ohne uns eines Blickes zu würdigen, ging er zum Teppich, ließ sich an der Seite des Wekil nieder und nahm die Pfeife aus der Hand des Schwarzen, der mit ihm eingetreten war und sie ihm anbrannte. Dann erst erhob er das Auge und musterte uns mit einer Verachtung, die gar nicht größer gedacht werden konnte.

Jetzt nahm der Statthalter das Wort, indem er mich fragte:

»Dieser Mann ist es, den ihr sehen wolltet. Ist er ein Bekannter von dir?«

»Ja.«

»Du hast recht gesprochen; er ist ein Bekannter von dir, das heißt, du kennst ihn. Aber dein Freund ist er nicht.«

»Ich würde mich auch für seine Freundschaft sehr bedanken. Wie nennt er sich?«

»Er heißt Abu en Nassr.«

»Das ist nicht wahr! Sein Name ist Hamd el Amasat.«

»Giaur, wage es nicht, mich der Lüge zu zeihen, sonst erhältst du zwanzig Hiebe mehr! Allerdings heißt mein Freund Hamd el Amasat; aber wisse, du Hund von einem Ungläubigen, als ich noch als Miralai in Stambul stand, wurde ich einst des Nachts von griechischen Banditen angefallen; da kam Hamd el Amasat dazu, sprach mit ihnen und rettete mir das Leben. Seit jener Nacht heißt er Abu en Nassr, der Vater des Sieges, denn niemand kann ihm widerstehen, nicht einmal ein griechischer Bandit.«

Ich konnte mich nicht enthalten, lachend den Kopf zu schütteln, und fragte:

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