Die Ahnen - Gustav Freytag
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Unter den Schauenden stand Ingo und achtete schweigend auf die behende Kraft. Da trat zu ihm Isanbart, ein alter Häuptling des Gaues, betrachtete ihn prüfend und begann feierlich, so daß die Rede der anderen verstummte: »Auch in deinem Volke, Fremdling, woher du auch stammst, übt sich wohl der junge Krieger in Sprung und Waffen. An deinem Auge und Arm sehe ich, daß du des Spiels nicht ganz unkundig bist; vielleicht gefällt dir‘s, unseren jungen Männern zu zeigen, was in deiner Heimat Brauch ist, wenn du auch nicht die Kunst eines Häuptlings verstehst. Bist du aus dem Ostlande, wie ich vernehme, so vermagst du wenigstens die Holzkeule zu schwingen, auch dieser Wurf erweist die Kraft des Mannes, obgleich meine Landgenossen ihn wenig üben. In der Halle sah ich über dem Sitz des Wirtes ein solches Holz.«
Ingo antwortete dem ehrbaren Greise: »Wenn mir‘s der Fürst gestattet und die Häupter des Volkes, so will ich versuchen, was ich ehedem gelernt.«
Der Fürst winkte, einer aus dem Gefolge sprang nach dem Hofe und trug eine Waffe aus Eichenholz herzu, vom Griffe nach rückwärts gekrümmt, vorn mit scharfer Schneide. Die Keule ging von Hand zu Hand, lachend wogen die Männer das leichte Werkzeug. »Eine Waffe dieser ähnlich trägt unser Sauhirt, um Wölfe zu schlagen«, rief Theodulf verächtlich, aber Isanbart der Greis entgegnete strafend: »Du sprichst töricht, ich sah von solchem Holz, nicht so schwer als dies, einen Schädel brechen wie einen Tonkrug.« Und er legte die Keule dem Wirt in die Hand.
»Wer jemals in den Ostmarken über eine Walstatt geritten ist,« sprach der Fürst, »der kennt die Wunden, welche dieser Knorren schlägt. Doch von alten Kriegern habe ich gehört, daß ein Geheimnis in dem Holze liegt und daß man schwer des Wurfes mächtig wird, denn tückisch soll es dem Unvorsichtigen das eigene Haupt treffen. Nicht unwert ist dieses Holz der Hand eines Edlen, denn es war vorzeiten eines Königs Waffe, und mein Vater brachte sie aus der Fremde heim.«
»Dann soll sie ihre Kunst dem Sohn erweisen«, rief Ingo freudig und faßte danach. Mit kurzem Armschwung warf er die Keule, sie flog in krausem Bogen durch die Luft, doch als alle meinten, daß sie zu Boden schlagen würde, fuhr sie wie durch eine Schnur gezogen wieder nach dem Manne zurück; er packte sie in der Luft am Griff und warf sie wieder hierhin und dahin, immer schneller, und immer kehrte sie gehorsam vom Schwunge in seine Hand. So mühelos und lustig schien das Spiel mit dem Eichenkloben, daß die Zuschauer näher traten und lautes Gelächter durch den Kreis ging.
»Das ist ein Gaukelspiel des fahrenden Mannes«, rief Theodulf verachtend.
»Es ist eines Mannes Handwehr,« versetzte der Fremde entgegen, »schwerlich ist dein Schädel fester als diese Eisenkappe.« Er sprach zu Wolf, und dieser legte in Weite eines Speerwurfs einen alten Eisenhelm auf einen Pfahl. Der Fremde maß das Ziel, wog die Waffe in schwingender Hand, warf sie im Bogen nach dem Helm und sprang in gewaltigem Satze nach. Laut krachte das berstende Metall, und doch fuhr die Keule wieder zurück, und wieder packte sie Ingo mit starker Hand und hielt sie hoch. Ein Ruf des Erstaunens scholl in dem Ringe, ein Haufe sammelte sich neugierig um den zerschlagenen Helm.
»Wohlan,« begann Theodulf herablassend, »hast du uns deine Gewohnheit gezeigt, so versuch‘ es auch mit unserem Brauch. Führt den Springern die Rosse heran.«
Zuerst wurden zwei Rosse nebeneinander gestellt, Kopf an Kopf und Schweif an Schweif. Die Springer traten zurück und schwangen sich mit kurzem Anlauf hinüber; fast allen glückte der Sprung, aber bei drei Rossen gelang es nur einer kleinen Zahl, und über vier sprang Theodulf allein, und als er hinter den Rossen zum Haufen der anderen zurücktrat, sah er herausfordernd den Fremden an und winkte mit der Hand zur Folge. Der Fremde neigte das Haupt ein wenig und tat denselben Sprung so sicher, daß das Feld vom Beifall widerhallte. Da rief Theodulf das fünfte Roß heran zum schweren Sprung, nur selten vollbrachte ihn einer der Behendsten. Aber der Thüring war gereizt und entschlossen, das Äußerste zu tun. Er selbst ordnete die Pferde anders, daß der Schimmel als fünfter stand, dann sah er um sich, empfing den Zuruf seiner Freunde und wagte den mächtigen Sprung. Und er kam hinüber, nur daß er beim Niedertauchen mit seinem Rücken den Schimmel streifte. Aber während er vortrat und sich über das Jauchzen des Volkes freute, tönte noch lauterer Zuruf hinter ihm und umgewandt sah er den Fremden, der diesmal schnell und mühelos in seinem Rücken den Sprung vollbrachte. Der Thüring erblich vor Zorn, er ging schweigend an seinen Platz und mühte sich vergebens, den Neid herabzudrücken, der ihm aus den Augen brach. Die Alten aber traten zu dem Fremden und rühmten seine Kunst, und der alte Häuptling begann: »Ich erkenne, Fremder, wenn mich nicht deine Gebärde täuscht, du bist nicht unkundig des Schwunges auch über sechs Rosse, den sie Königssprung nennen, und der nicht in jedem Menschenalter einem Helden gelingt. Ich sah ihn einmal, da ich jung war, mein Volk niemals.« Und er rief laut: »Führt das sechste Roß heran!« Da erhob sich im Kreise Gemurmel und die Entfernten drängten näher herzu, während die Jünglinge eilten, das Roß zu stellen. Neben Ingo aber trat die Fürstin, sie war bekümmert um die Niederlage ihres Verwandten und sprach leise zu dem Gaste: »Erwäge, Held, leicht trifft der Pfeil des Jägers den Auerhahn, wenn er die Flügel breitend seine Stimme erhebt.« Aber Ingo sah auf Irmgard, welche in froher Erwartung hinter der Mutter stand und ihn freundlich anlachte, und er antwortete mit heißen Wangen: »Zürne mir nicht, Herrin, ich bin gefordert, nicht habe ich mich in den Kampf gedrängt; ungern entsagt der Mann der angebotenen Ehre.« Er trat rückwärts zum Sprunge, hob sich gewaltig in die Luft und vollbrachte den Schwung, daß alles Volk jauchzte, und da er zurückkehrte, achtete er nicht auf die unwillige Miene der Fürstin, er freute sich, daß ihm die Kunst gelungen war und daß Irmgards Angesicht rosig erglänzte. Lange wogten die Zuschauer durcheinander, sprachen über die Kühnheit des Fremdlings und rühmten ihn, bis dem Wettkampf der Männer andere Ziele gesetzt wurden. Ingo stand fortan still neben den Häuptlingen und niemand forderte ihn zu neuem Streit.
Schon neigte sich die Sonne von ihrer Höhe, da nahte der Sprecher dem Fürsten und lud die Gesellschaft zum Mahle. In fröhlicher Erwartung folgten die Männer dem Rufe, sie wandten sich im Zuge nach dem Hofe zurück und schritten die Stufen der Halle hinauf. Der Sprecher und der Truchseß traten ihnen vor und ordneten an den Tafeln der Halle jeden nach Rang und Gebühr. Dies war eine sorgliche Arbeit, denn jeder begehrte den Platz, der ihm geziemte: entweder am Tisch des Häuptlings, oder nahe bei ihm, lieber auf der rechten Seite als auf der linken. Es war eine lange Reihe von Tischen, die Sitze daran für die Vornehmsten mit einer Armstütze und für die Ansehnlichen immer noch mit hoher Lehne, für die Jüngeren ein schöner Schemel. Schwer war‘s, allen mit dem Ehrensitz Genüge zu tun, aber der Sprecher verstand sein Amt und wußte manchem seinen Platz zu loben wegen der Nachbarn und der Nähe der Frauen und wegen gutem Überblick über den Saal. Zunächst der Tür lagerten die Bankgenossen des Hausherrn in langer Reihe, dort hatte den Ehrenplatz Theodulf und ihm gegenüber saß ganz unten der Fremde. Da alle erwartend saßen, trat der Schenk mit den Dienern ein und trug in schönen Holzbechern den Begrüßungstrank; der Wirt erhob sich, trank den Gästen gutes Heil zu, und alle standen auf und leerten die Becher. Darauf kam der Truchseß mit seinem Stabe und hinter ihm eine lange Reihe Diener, welche die erste Tracht auf die Tische setzten; da ergriff jeder sein Messer, das er an der Seite trug und begann rüstig das Mahl.
Im Anfang war es schweigsam um die Bänke, denn allen störte die Rede der eigene Hunger und sie rühmten nur mit leisem Dank die reichliche Fürsorge der Herrin. Doch die Ältesten in der Nähe des Fürsten tauschten ernsthafte Worte, sie dachten an vergangene Taten der Helden und lobten die Tugenden ihrer Rosse. Die anderen aber horchten essend gern auf ihr Gespräch.
Und ein Edler an der Seite des Fürsten begann laut: »Das liebste fürwahr im Sommer ist mir ein solches Hochfest, wo die Landgenossen einander auf grüner Wiese im Heergewand grüßen, die grauen Häupter erinnern sich alter Kriegsreisen, die schlachtenfrohe Jugend erweist im Spiele, daß ihre Kraft dereinst die Ehren der Väter mehren wird. Die Sonne scheint warm und das Antlitz des Wirtes lacht den Gästen entgegen; auch das Herdenvieh springt umher und die Ähren der Gerste bräunen sich im Südwind; fröhlich wird des Mannes Herz in solcher Zeit und ungern gedenkt er der Sorgen. Dennoch ziemt dem Manne, auch beim Mahle das Schwert nicht weiter von sich zu legen, als der Arm reicht, denn wechselvoll ist alles Leben in den Tälern der Menschen, bald wohl verdeckt schwarzgrauer Wolkenschild den Himmel, ein weißes Schneetuch den Grund; kein Glück der Menschenerde dauert und der nächste Tag mag neues Schicksal bringen. So geht auch jetzt durch das Volk eine Kunde aus dem Römerland, manche sorgen darum und ihre Gedanken fragen unsern Wirt, ob er Botschaft erhielt, die uns zu wissen frommt.«
Diese Rede sprach die Meinung aller aus und von allen Tafeln klang Beistimmung, dann wurde es sehr still; der Fürst aber antwortete mit Vorsicht: »Von großem Schlachtendrang vernahmen wir alle und erwägen, ob er uns zum Heile sein werde. Dennoch rate ich nicht, daß wir Waldmänner heut von dem Trinkhorn abwärts spähen mit sorgenvollem Blick. Noch wissen wir nur, was die Wanderer zutrugen aus der Fremde, vielleicht was sie selbst geschaut, vielleicht undeutliches Gerücht. Darum ritten unsere Boten über den Wald südwärts nach neuer Kunde. Wir harren ihrer Heimkehr, dann prüfen die Weisen, ob die Botschaft wert ist, daß das Volk darum sorge.«
Da diese Worte kundgaben, daß der Wirt nichts über den Römerkrieg berichten wollte, so entstand undeutliches Gemurr und Herr Answald merkte, daß die Gäste gern mehr vernommen hätten und daß sie seines Schweigens nicht froh waren.
Darum trat jetzt auf ein stilles Zeichen des Herrn der Sprecher vor und rief mit lauter Stimme: »Die Schwerttänzer nahen und erbitten sich Gunst.« Da schwieg jeder und rückte den Sessel zum Schauen zurecht, die Frauen erhoben sich von den Sitzen.
Ein Pfeifer und ein Sackbläser schritten voran, hinter ihnen zwölf Tänzer, junge Krieger aus dem Volk und von des Häuptlings Bank im weißen Unterkleid mit buntem Gürtel, das blitzende Schwert in der Hand; vor ihnen als dreizehnter Wolf, der Schwertkönig, in rotem Gewande. Sie hielten am Eingang und grüßten die Waffen senkend, darauf begannen sie den Sang des Reigens und schwebten in langsamem Schritt nach dem freien Raum vor der Herrenbank. In der Mitte hielt der Schwertkönig, die zwölf Genossen umkreisten ihn feierlich mit gehobenem Schwert. Er gab ein Zeichen, die Pfeifer bliesen, schneller wurden die Bewegungen, nach rechts schwang sich die Hälfte im inneren Ringe, die andere von außen entgegengesetzt und jeder tauschte mit allen, denen er begegnete, Schwertschlag nach Ordnung der Hiebe. Dann tauchte zwischen den blinkenden Schwertern der König hindurch, bald nach außen, bald nach innen im Kreise schwebend, mit seiner Waffe fing und erwiderte er die Schläge der anderen. Kunstvoller wurden die Verschlingungen, heftiger die Bewegungen, einer nach dem anderen wand sich wie im Kampf durch die kreisende Reihe der übrigen. Dann teilten sie sich in Haufen im Takte gegeneinander eilend und mit den Waffen streitend, bis sie zugleich je drei und je vier in der Kämpferstellung sich verflochten. Plötzlich senkten alle im großen Kreise die Schwerter zur Erde und verschränkten sie im Nu am Boden zu einem künstlichen Geflecht, das aussah wie ein Schild. Der Schwertkönig trat darauf und die zwölf Genossen verstanden ihn auf dem Schilde aus Schwertern geformt vom Boden heraufzuheben bis über ihre Schultern, wo er stand und mit seinem Schwert den Fürsten, die Gäste und die Frauen grüßte. In gleicher Weise ließen sie ihn langsam zu Boden, lösten Eisen von Eisen und begannen aufs neue im Kreise gegeneinander zu springen, jetzt Sprünge und Schwertschläge schnell wie der Blitz, kaum vermochte das Auge den einzelnen Streichen zu folgen, im Wirbel flirrte der blanke Stahl und schwangen sich die Leiber der Männer unter den scharfen Waffen, die Pfeife gellte, das Sackrohr summte in wilden Klängen, die Funken sprühten von den Schwertern. So lief das Spiel der Helden in des Fürsten Halle, bis die Tänzer anhielten, wie durch Zauber gebannt, in der Stellung von Kämpfern je zwei gegenüber. Darauf begann wieder der Reigensang der Tänzer und langsamen Schrittes feierlich grüßend schwebten sie beieinander vorüber und schritten im Zuge zum Saale hinaus. Um die Sitze dröhnte der Beifallssturm, die Gäste sprangen begeistert auf und riefen den Tänzern fröhlichen Dank.
In der Nähe des Fürsten erhob sich Rothari, ein Edler, und begann:
»Ich rede, wie ich denke, kunstvolleres Schwertspiel sahen meine Augen niemals bei anderen Leuten und wir Thüringe sind auf der Männererde gerühmt wegen solcher Kunst. Dort unten aber an der Bank des Fürsten sitzt ein Fremdling, kriegerischer Werke wohl mächtig. Und wenn ich ihn nach der Tüchtigkeit schätze, die er heute erprobt hat, so würde ich ihm seinen Stuhl hoch herauf unter die Starken setzen. Doch ungleich verteilen die Götter ihre Gaben, auch ein Fremder, der seine Ahnen nicht kennt, mag ein achtbarer Kriegsmann werden. Die Leute sagen, daß zuerst aus dem Hof des Fürsten die Kunde von der Römerschlacht in unser Land geflogen sei, und da ich den Fremden sah, hielt ich ihn für den Boten; doch der Keulenwurf erwies, daß er aus dem Ostland stammt. Ich bringe dem Gaste in der Halle den Heilgruß.«
Ingo erhob sich und dankte. Da rief Theodulf laut: »Manchen sah ich springen und schwingen auf weichem Rasen, der hoher Sprünge in der Feldschlacht vergißt.«
»Recht mahnst du,« versetzte Ingo kalt, »doch manchem nagt auch Neid in der Seele, weil er selbst nicht als Höchster auf dem Rasen sich schwang.«
»Für ehrenwerter als ein Springer gilt bei uns der Mann, der seine Narben vorn am Leibe trägt«, versetzte Theodulf.
»Ich aber lernte von Alten und Weisen, daß nicht unrühmlicher sei, tiefe Wunden zu geben als zu erleiden.«
»Sicher gebührt dir die Würde eines Häuptlings, dem sein Gefolge die Schilde vorhält gegen feindliche Speere, damit sein Antlitz mairötlich daure zur Freude des Volks«, höhnte wieder der Mann des Fürsten.
»Und ich hörte manchen, der einen Schwertschlag empfangen, darüber glucksen wie ein Huhn über sein Ei«, versetzte Ingo verächtlich.
»Ruhmlose Wunden auch birgt das Hemde, die Spuren der Streiche, die den Rücken bedrängten«, rief Theodulf mit flammendem Angesicht.
»Ruhmlos nenne aber ich die boshafte Zunge, die in der Halle nach dem Gastfreund sticht. Nicht ehrenwert dünkt mir solche Rede, dem Thüring geziemt nicht der falschen Römer Brauch.«
»Kennst du so gut den Brauch der Römer,« rief vom andern Tisch ein wilder Kriegsmann aus Theodulfs Freundschaft, »so hast du auch wohl ihre Streiche gefühlt.«
»Im Kampfe stand ich den Römerkriegern«, rief Ingo sich vergessend. »Frag dort im Lager nach deinen Gesippen, nicht jeder gibt dir Antwort, der meinem Schwerte genaht.«
Laute Schreie füllten die Halle, als der Fremde verriet, daß er gegen die Römer gestanden hatte. »Gut sprachst du, Fremder«, schrie es von allen Seiten, und wieder an anderen Tafeln: »Übel prahlt der Fremde, hoch Theodulf!«